„Sankt Florian“ hilft nicht: Migrationspolitik braucht Pragmatismus

In der Migrationspolitik gibt es einen Überbietungswettbewerb um die härtesten Maßnahmen. Es wird das Blaue vom Himmel versprochen. Das hilft nicht. Wir brauchen Maß und Mitte.

Die populistische Diagnose, Migration sei „die Mutter aller Probleme“, beherrscht seit Monaten den Politikbetrieb und befeuert einen Wettbewerb um die härtesten Maßnahmen im Asylbereich. Maß und Mitte in einem schwierigen Politikfeld bleiben auf der Strecke. Das Motiv ist verständlich: Verantwortliche Politik will sich nicht mehr von Demokratiefeinden treiben lassen und dazu den Zuzug von Asylsuchenden drastisch reduzieren. Tatsächlich trägt Deutschland die Hauptlast der Fluchtmigration in Europa, weil das neue gemeinsame Asylsystem noch nicht für größere Solidarität in der EU sorgt und das bisherige „Dublin-System“ der Zuständigkeit für Asylverfahren in der EU nicht mehr funktioniert.

Aufgenommen werden nicht nur Menschen, die einen Schutzbedarf nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, sondern nach EU-Recht auch viele Bürgerkriegsflüchtlinge, die schon jahrelang in Erstaufnahmestaaten gelebt haben, dort aber keine Perspektive mehr sehen. Selbst wenn Rückführungen von Personen ohne Schutzstatus möglich sind, scheitern sie oft an überforderten Ausländerbehörden oder kooperationsunwilligen Heimatländern.

Der Handlungsdruck im Asylbereich ist auch deshalb so hoch, weil nach den Morden in Mannheim und Solingen in der Bevölkerung die Ängste vor terroristischen Gefährdern unter den Asylsuchenden zunehmen. Verschärft wird die Situation nicht zuletzt durch die Alarmsignale aus den Kommunen über die Grenzen der Aufnahmekapazitäten infolge von Wohnungsmangel und Überlastungen der Bildungsinfrastrukturen.

In der Asylfrage kann nicht das Blaue vom Himmel versprochen werden.

Die Bürger:innen im Land dürfen mit Recht erwarten, dass diese Herausforderungen gelöst werden. Ihnen ist aber auch die Erkenntnis zuzumuten, dass in der Asylfrage nicht das Blaue vom Himmel versprochen werden kann. Denn im komplexen Politikfeld Migration sind die europäischen und internationalen Dimensionen des Phänomens und die Interessen der beteiligten Länder zu berücksichtigen. Nationale Alleingänge nach dem „Sankt Florian Prinzip“ („Verschon mein Haus, zünd`s andere an!“) sind ein Irrweg.

Wenn Deutschland die Grenzen dicht macht, spielen die europäischen Nachbarländer nicht mit: Polen kritisiert die deutschen Pläne scharf, Österreich lehnt die Aufnahme abgewiesener Asylsuchender ab, die Niederlande berufen sich auf eine eigene Notlage. Beschädigt wird dabei nicht nur die Personenfreizügigkeit als eine EU-Säule, sondern das EU-Politikmodell insgesamt, Herausforderungen kooperativ zu bewältigen.

Ebenso zentral ist die Zusammenarbeit mit Erstaufnahme- und Herkunftsländern außerhalb der EU. Die Politik bemüht sich mit Erfolg um Migrationsabkommen, die anspruchsvoll sind, weil sie von diesen Ländern nicht nur fordern kann, Flüchtlinge im Land gut zu versorgen und abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen, sondern auch Unterstützung und Vorteile bieten müssen, z.B. Visa für Arbeits- und Fachkräfte.

Damit sind wir bei einer anderen Art der Migration, die für alternde Gesellschaften notwendig ist: die Arbeitsmigration. Diese findet mehrheitliche Akzeptanz in der Bevölkerung, wird aber vom Asylstreit negativ beeinflusst, denn internationale Arbeitskräfte werden durch ein zuwanderungskritisches Klima abgeschreckt. Die Fachkräftebedarfe bleiben aber in Deutschland trotz der Wirtschaftskrise hoch, was aktuelle Befragungen von Unternehmen zeigen.

Aufgrund des nahenden „demographischen Klippensprungs“ der in Rente gehenden Babyboomer:innen bleibt der Zuwanderungsbedarf Deutschlands hoch – mit ausgeprägten regionalen Unterschieden. Auch Asylberechtigte sind mögliche Fachkräfte, wenn in ihre Sprache und Ausbildung investiert wird und nach Einzelfallprüfung der Spurwechsel von Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt möglich ist.

Deutschland braucht im Eigeninteresse wieder Maß und Mitte in der Migrationsdebatte.

Deutschland braucht im wohlverstandenen Eigeninteresse wieder Maß und Mitte in der Migrationsdebatte, d.h. pragmatische, rechtssichere und international abgestimmte Lösungen zur Gestaltung der Fluchtmigration, flankiert von umfassenden Maßnahmen im Bereich Integration und Sicherheit. So können die Chancen von Zuwanderung genutzt werden – und nur so kann die populistische Treibjagd beendet werden, die unserem Land schadet.