Welcome in Berlin, Bienvenido a Berlín, Vítejte v Berlíně!
Wenn man Martin Jankowski begegnet, hat man es mit einem sehr unaufgeregten, angenehm pragmatisch orientierten Schriftsteller und Literaturveranstalter zu tun, dem das Thema Kulturelle Vielfalt nicht erst seit dem Herbst 2015 eine Herzensangelegenheit ist. Schon seit Mitte der Neunziger Jahre – damals lag der Fokus stärker auf der Begegnung von ost- und westdeutschen Schriftsteller*innen in Berlin – beschäftigt er sich mit Fragen des Zusammenlebens in einer heterogenen, kulturell vielfältigen Stadt und hat, gemeinsam mit einer Handvoll Kolleg*innen („Berliner Literarische Aktion“ nennt sich das Bündnis), eine Reihe von Veranstaltungsformaten auf die Beine gestellt. Martin Jankowski, der Indonesien fast als eine Art zweites Zuhause ansieht, so oft war er dort als Schriftsteller zu Gast, lädt seit vielen Jahren ausländische Schriftsteller*innen auf Berliner Bühnen ein: Ob zum Poetry Slam, zu Buchvorstellung und Gespräch ins Theater, zu einem „Wahlverwandtschaften“-Abend mit einem zweiten Autor oder einer Autorin, zu Begegnung und Austausch oder auch mal zur Lesung in den Veranstaltungssaal von Europas größtem Männergefängnis.
„Stadtsprachen“ – Ein Festival der Vielsprachigkeit
Vor anderthalb Jahren hat die Berliner Literarische Aktion mit dem beeindruckenden Literaturfestival „Stadtsprachen“ die „vitale Vielsprachigkeit“ (Jankowski) Berlins gefeiert. In stadtweiten Aktionen und Performances, diskursiven Begegnungen und mehrsprachigen Lesungen wurden mehr als 100 Berliner Autor*innen, Übersetzer*innen und Kulturschaffende aus 36 Herkunftsländern und mit 42 verschiedenen Sprachen präsentiert. Vielen Berliner*innen wurde erstmalig bewusst, wie viele Autor*innen aus dem Ausland in ihrer Stadt leben und dort in ihren Muttersprachen dichten, erfinden, nachdenken, konversieren, mit Worten spielen, inszenieren, schreiben. Das Publikum konnte erstmalig eine Reihe hochkarätiger Autor*innen kennenlernen, deren Werk bislang wenig wahrgenommen wurde, weil hierzulande eigentlich nur geehrt wird – zum Beispiel mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis -, wer gelernt hat, wunderbar auf Deutsch zu schreiben. Der etablierte Literaturbetrieb hat bisher wenig für die einzigartige multilinguale Autor*innenlandschaft Berlins getan: Deutsche oder englische bzw. amerikanische Lesungen dominieren das Literaturleben. Zu den großen Festivals lädt man gern internationale Stars ein – die everbody’s darlings des globalen Literatur-Jet-Set, doch die Autor*innen anderer Sprachen, die in Berlin selbst zuhause sind, werden selten wahrgenommen. Hin und wieder darf ein türkischer, palästinensischer oder israelischer Autor oder ein geflüchteter Schriftsteller zu Wort kommen, wobei er dann eher als Zeitzeuge, Welterklärer oder Philosoph – gelegentlich auch als Militärexperte oder Hellseher – agieren muss denn als Künstler der schreibenden Zunft.
Das babylonische Berlin
Die Gleichzeitigkeit verschiedener gesprochener und geschriebener Sprachen wurde bislang nie als ein Vorzug Berlins begriffen, nur als Problem, das „Parallelgesellschaften“ hervorbringt und ursächlich verantwortlich für soziale Ghettos ist. Doch stellt die Vielsprachigkeit eine große Bereicherung für eine Metropole wie Berlin dar – eine Stadt, die schon seit Langem davon träumt, wieder Weltstadt zu sein. Für den so oft eingeforderten interkulturellen Austausch ist die Anerkennung der Vielsprachigkeit der erste Schritt. Es geht hier um Würde, um Teilhabe und um Interesse aneinander. Es ist bewundernswert, dass sich ein kleiner Verein wie die Berliner Literarische Aktion diesem Thema so verschrieben hat. Das „Projektprinzip“ der Berliner Literarischen Aktion hat Jankowski einmal auf die Formel gebracht: „Wir machen, was nötig ist, aber der Markt nicht machen will“.
Nachdem das Festival auf sehr große Zustimmung stieß, richteten Martin Jankowski und seine Kolleg*innen vor einem Jahr das multilinguale, weltweit zugängliche Online-Literaturmagazin der Berliner Gegenwartsliteratur „stadtsprachen.de“ (stadtsprachen magazin) ein (vier Ausgaben im Jahr + ein bookzine). Das kongeniale Logo von „stadtsprachen“ besteht aus vielen bunten Sprechblasen, die gemeinsam die Silhouette Berlins ergeben. Internationale Berliner Autoren werden in dem Magazin mit Texten sowohl in ihrer Muttersprache wie auch in deutscher Übertragung vorgestellt – nicht wenige von ihnen zum ersten Mal, obwohl sie nicht selten andernorts längst hoch gehandelt werden. 117 internationale Autor*innen, 38 Übersetzer*innen und 41 Moderator*innen haben bislang Eingang in das Online-Magazin gefunden. Das Inhaltsverzeichnis umfasst 143 Textbeiträge in 24 Sprachen. Monatlich besuchen 3000 bis 5000 Leser*innen die Seite.
Wo Sprachen und Kulturen verschmelzen: Veranstaltungsreihe „Parataxe“
Das „stadtsprachen magazin“ und die „Berliner Literarische Aktion“ haben das Stadtsprachen-Konzept mit der Veranstaltungsreihe „Parataxe“ (parataxe) weiter ausgebaut, um die Geschichte und Gegenwart der vielsprachigen Literatur in der deutschen Hauptstadt in Lesungen sowie zwei großen jährlichen Symposien zu erkunden. Der Name „Parataxe“ – ein sprachwissenschaftlicher Begriff – soll dabei auf die Gleichberechtigung der verschiedenen Sprachen in der Berliner Literaturszene hinweisen – so wie bei einer parataktischen Wendung ein Hauptsatz dem anderen nicht untergeordnet ist. Die Verschmelzung der verschiedenen Kulturen und Sprachen findet auch in den Namen der Parataxe-Events ihren Niederschlag: Da wird ein Abend mit „Berlinglish“ betitelt, „Afroberlin“ angekündigt oder „Fernostberlin“ gepriesen.
Das „Abenteuer Literatur“ geht weiter
Die Vielsprachigkeit der Berliner Gegenwartsliteratur war von Anfang an Grundthema der „Berliner Literarischen Aktion“. Inzwischen gibt es eine Vielzahl erfolgreich realisierter Konzepte, die zum Teil auch international wirksam sind, auch wenn Jankowski und seine Mitstreiter bislang nach wie vor die meisten Projekte mit wenig Geld oder auch ehrenamtlich realisieren müssen. Doch das „babylonische Abenteuer Literatur“ (Jankowski) treibt sie dennoch unermüdlich in die verschiedensten Berliner Biotope. Premiere in diesem Juli wird z.B. das neu konzipierte Festival der Undergroundliteratur „Berlin New York = URBAN DICTIONARY“ in großen Berliner Kunstgalerien wie der Berlinischen Galerie und dem Künstlerhaus Bethanien haben. Hier sollen die Literatur- und Kunst-Szenen zweier in mancherlei Hinsicht verwandten Städte erkundet werden. Eines verrät Martin Jankowski noch: Vielleicht kommt Patti Smith.
© Tanja Dückers, Berlin /Barcelona, im Februar, März 2018