Weltoffenes Barcelona: Kein Platz für Vorurteile
„Sie nehmen uns die Jobs weg“, „Sie bekommen alles Mögliche an Sozialleistungen“, „Sie zahlen keine Steuern“, „Sie nutzen unser Gesundheitssystem aus“ – ein nicht unwesentlicher Teil der Ablehnung von Migranten und Minderheiten resultiert aus Vorurteilen, Stereotypen und Gerüchten. Die katalanische Hauptstadt Barcelona setzt deshalb auf Aufklärung und hat den Vorurteilen den Kampf angesagt. Die sogenannte Anti-Rumours-Strategie hat bereits viele Nachahmer gefunden.
Agenten für die Aufklärung
An den Anti-Rumours-Aktionen, die im Jahr 2010 begannen, sind Einzelpersonen, zivilgesellschaftliche Organisationen, öffentliche Einrichtungen, städtische Programme und Dienstleistungen und der Stadtrat von Barcelona beteiligt. Mittlerweile sind fünfhundert Mitgliedsorganisationen und Einzelpersonen in dem Netzwerk aktiv. Alle Bürgerinnen und Bürger Barcelonas können an einem 20-stündigen, kostenlosen Training teilnehmen, das sie zu sogenannten Anti-Rumours-Agenten qualifiziert. 1.500 wurden bislang ausgebildet. Aktuell entwickelt das Team eine Kommunikationsstrategie und Ratschläge für Nutzer sozialer Netzwerke, um Hate Speech zu begegnen. Andere Städte haben die Ideen aus Barcelona mittlerweile übernommen, in Deutschland zum Beispiel Erlangen und Nürnberg.
Intercultural Cities: Anti-Rumours Strategy – Video 4: Examples of Anti-Rumours campaigns
Arbeit an der Vielfalt
Die unübersehbare Kolumbus-Statue am Hafen symbolisiert die weltoffene Ausrichtung Barcelonas. Das Handelszentrum am Mittelmeer ist global vernetzt und zog schon immer Menschen aus aller Welt an. Doch die Zuwanderung hat in der 1,6-Millionen-Metropole deutlich an Dynamik gewonnen. Zwischen 2000 und 2016 ist der Anteil der in Barcelona lebenden Ausländer von 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung auf 16,6 Prozent gestiegen. Viele Zuwanderer stammen aus Pakistan und China, aus Nordafrika und Lateinamerika. Aber auch für EU-Arbeitnehmer auf der Suche nach Jobs in der Kreativwirtschaft oder der Technologiebranche ist Barcelona ein attraktives Ziel. Die zweitgrößte Stadt Spaniens reagierte schon früh auf diese Entwicklung und stellte bereits Ende der 1990er Jahre den ersten Plan für eine gute Gestaltung der interkulturellen Beziehungen auf. Ein „Kommunaler Einwanderungsplan“, ausgelegt auf die Jahre 2002–2008, entwickelte eine Vielzahl von Maßnahmen, um Neubürgern den Start zu erleichtern und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.
Strategie mit den Bürgern entwickelt
Einen großen Schritt für die Gestaltung einer vielfältigen Stadt machte Barcelona mit dem „Pla BCN Interculturalitat 2010“, dem Interkulturalitätsplan Barcelona 2010. Im Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008 gestartet, setzte die Stadtverwaltung vor allem auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. In 170 Interviews und knapp 40 Bürgerdialogen wurden Probleme analysiert und Interessen ausgelotet. Über eine eigens eingerichtete Webseite erreichten die Stadt 4000 Vorschläge. Die Rückmeldungen machten klar, dass kulturelle Vielfalt zur Identität der Stadt gehört und eine wichtige Ressource für die Attraktivität, Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit der Metropole ist.
Viele Maßnahmen angestoßen
Ergebnis des Interkulturalitätsplans war zum Beispiel eine kritische Überarbeitung der Verwaltungsarbeit. Eine eigene Abteilung übernahm dafür die Verantwortung und verankerte die Prinzipien in allen Politikfeldern („Mainstreaming“). Die Beschäftigten der Verwaltung erhalten heute zum Beispiel Fortbildungen zur Erweiterung ihrer interkulturellen Kompetenzen und tauschen sich in Arbeitsgruppen über Fortschritte und Verbesserungspotenziale aus. Interkulturelle Kriterien in den Ausschreibungsverfahren sorgen dafür, dass auch Dienstleister die interkulturellen Ziele der Stadt unterstützen und in ihrer Arbeit berücksichtigen. Ein weiteres Resultat des Plans ist das Programm XEIX. Es sorgt dafür, dass die zahlreichen Kleinunternehmen von Kaufleuten chinesischer und pakistanischer Herkunft besser in die Wirtschaft eingebunden werden. Hierdurch sollen Konflikte gelöst, aber auch neue unternehmerische Chancen ermöglicht werden.
Erfolge in Barcelona
Auch die anerkannte Anti-Rumours-Strategie ist ein Resultat des Interkulturalitätsplans. Gemeinsam mit der Vielzahl von anderen Maßnahmen hat sie dazu beigetragen, dass Bürgerumfragen eine zunehmend positive Einstellung gegenüber Migrantinnen und Migranten zeigen. Auf die Probe gestellt wurde diese bei dem brutalen IS-Terroranschlag auf dem Boulevard La Rambla am 17. August 2017. Hier zeigte die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Barcelonas Haltung. In den öffentlichen Kundgebungen und sozialen Medien begegneten sie ersten aufkeimenden islamophoben Äußerungen geschlossen und verteidigten die Vielfalt der Stadt.