Mit gemeinsamer Stadtplanung das Zusammenleben in Vielfalt gestalten
Die Politik beschließt ein Projekt. Experten machen hierzu Änderungsvorschläge. Ein Komitee erarbeitet eine modifizierte Fassung. Daraufhin wird ein Kompromiss ausgehandelt. Schließlich wird das Projekt umgesetzt – und dann stellt sich heraus: die betroffenen Bürger wollten etwas ganz anderes!
Der Londoner Stadtplaner Charles Campion kennt diese gängige Problematik öffentlicher Gestaltungsprozesse zu Genüge. Er hilft als Experte für partizipative Stadtplanung Menschen und Kommunen weltweit, ihren Lebensraum so zu gestalten, dass er ihren tatsächlichen Bedürfnissen gerecht wird und die Lebensqualität für alle steigert. Ich habe ihn getroffen, um mehr über diese Praxis des Collaborative Placemaking zu erfahren – und darüber, wie sie helfen kann, das Zusammenleben in kultureller Vielfalt positiv zu gestalten.
Collaborative Placemaking bringt Menschen zusammen
Das Motto des Collaborative Placemaking lautet: „Cities and towns are not just about buildings. They are also about people”. Das heißt, der öffentliche Raum von Städten wird auch und vor allem als Lebensraum, also als ein sozialer Raum begriffen, den Menschen sich aneignen und gestalten. Daher werden bei dieser Methode gemeinschaftlicher Stadtplanung die Bürgerinnen und Bürger von Anfang an mit ihren Bedürfnissen und Ideen einbezogen. Zugleich schafft das Collaborative Placemaking im Rahmen der gemeinschaftlichen Planungstreffen einen Raum für Begegnung und Austausch. Das Ziel der Gestaltung des gemeinsamen Lebensraums führt Menschen zusammen, die zuvor im Alltag womöglich wenig miteinander zu tun hatten. Die Gestaltung öffentlicher Räume mittels Collaborative Placemaking bedeutet somit zugleich auch menschliche Beziehungen zu gestalten, wie Charles betont: „It’s all about making connections.“ Auf diese Weise können auch kulturelle Barrieren und Berührungsängste abgebaut werden. Denn Menschen machen bei den Planungstreffen die Erfahrung, dass sie trotz kultureller Unterschiede viele Interessen in Bezug auf ihren Lebensraum teilen und ihn zum Wohle aller gemeinsam gestalten können.
„It’s all about making connections.“
Die Beteiligung aller erfordert interkulturelle Kompetenz
Doch wie kann sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse wirklich aller Bewohner bei der Neugestaltung von städtischen Räumen berücksichtigt werden, und nicht nur die einer bestimmten Gruppe? Denn öffentlich organisierte Beteiligungsprozesse werden häufig vorwiegend von alteingesessenen Bürgern aus der Mittelschicht wahr- und angenommen. Wie erreicht man also auch Menschen, die aufgrund der Einbindung in andere soziale oder kulturelle Milieus Berührungsängste mit solchen Prozessen haben oder zu denen die Information womöglich gar nicht erst durchdringt?
Hier verweist Charles vor allem auf zwei Faktoren: Erstens muss das professionelle Planungsteam die unterschiedlichen Zielgruppen aktiv ansprechen, an den für sie vertrauten und wichtigen Orten aufsuchen, sie informieren und zur Teilnahme ermutigen. Dazu gehören zum Beispiel auch gemeinsame Begehungen des Geländes, das neu gestaltet werden soll. Zweitens ist es für den Erfolg dieses Vorgehens unerlässlich, dass das professionelle Team selbst so zusammengesetzt ist, dass einzelne Teammitglieder einen eigenen Bezug zur Kultur der Zielgruppe haben oder deren Muttersprache beherrschen. Dies hilft, Vertrauen zu schaffen und die Verständigung zu erleichtern.
Gestaltung mit Gespür für kulturelle Sensibilitäten
Charles hat mir auch von seinen Erfahrungen mit kulturellen Differenzen bei seinen internationalen Projekten berichtet. Diese zeigen, dass die Neugestaltung eines Raumes sich nur dann positiv auf das Zusammenleben der Menschen auswirken kann, wenn während des Prozesses die besonderen kulturellen Gegebenheiten des Ortes berücksichtigt werden. So muss beispielsweise im Rahmen des Planungsprozesses mancherorts darauf geachtet werden, dass bestimmte religiöse oder spirituelle Orte unangetastet bleiben: „These are places not to develop but to respect“, erklärt Charles.
Bei der Neugestaltung der Crumlin Road in Belfast war sein Planungsteam mit dem noch immer angespannten Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten vor dem historischen Hintergrund des Nordirlandkonflikts konfrontiert. Hier zeigte sich während des gemeinschaftlichen Planungsprozesses, dass Angehörige der einst verfeindeten Parteien sich auf vieles einigen konnten, was den gemeinsamen Lebensraum betraf – etwa die Neugestaltung von historischen Gebäuden und Geschäften. Es wurde jedoch auch von beiden Seiten das Bedürfnis geäußert, bei der Gestaltung des Wohnraums nicht gezielt eine konfessionelle Mischung herzustellen. Auch dieses Bedürfnis wurde bei der Neugestaltung der gemeinsam genutzten Straße respektiert. Einen Ort zu schaffen, an dem sich die Menschen, die ihn tagtäglich nutzen, tatsächlich wohlfühlen, erfordert also ein gutes, sensibles Gespür für kulturelle Symboliken und Identitäten.