Integrationsvorbild Mechelen – Teil 1: Der Bürgermeister

Die belgische Stadt Mechelen hat sich innerhalb eines Jahrzehnts vom Schandfleck zur blühenden Stadt und zum Vorbild für die Integration von Einwanderern gewandelt. In einer dreiteiligen Serie zeigt „Vielfalt leben“, wie sie das geschafft hat. Teil 1 porträtiert Bürgermeister Bart Somers und seinen ungewöhnlichen Politikansatz.

Seit Bart Somers Anfang 2017 von der City Mayors Foundation zum „World Mayor“, also quasi zum besten Bürgermeister der Welt gewählt wurde, kann er sich über fehlende Medienresonanz nicht beklagen. Ständig besuchen Journalisten aus ganz Europa seine 90 000-Einwohner-Stadt Mechelen um zu erfahren, wie er zwei Dinge hinbekommen hat: erstens den ehemals dreckigsten Ort Belgiens wieder in eine blühende Stadt zu verwandeln, und zweitens die großen Probleme mit Migranten aus 138 Nationen in den Griff zu bekommen und die Stadt zum Vorbild für Integration zu machen. Denn dass der 54-jährige Politiker der entscheidende Faktor für die Entwicklungen ist, darüber sind sich die Bürger seiner Stadt einig. Was also hat Somers richtig gemacht? Was ist sein Geheimnis? Welche Learnings sind auch auf andere Städte übertragbar?

„Ich hatte keine Roadmap“

Als Bart Somers 2001 das erste Mal zum Bürgermeister gewählt wurde, galt Mechelen als hoffnungsloser Fall. Zu viele Probleme mit Migranten, zu viel Kriminalität, Dreck auf den Straßen und leer stehende Geschäfte in der City. Eine vergiftete Stadt, in der die ausländerfeindlichen Separatisten der Partei Vlaams Belang immer mehr Stimmen holten. Was kann man angesichts solcher Herausforderungen als einzelner Politiker überhaupt tun? „Ich hatte keine fertige Roadmap, als ich anfing“, erinnert sich Somers, „ich wusste nur, ich musste etwas für das Sicherheitsgefühl der Menschen machen.“  Aber anders als klassische Law-and-Order-Politiker hat Somers starke Wurzeln im Liberalismus und Humanismus. Die Durchsetzung des Rechtsstaates ist für ihn kein Endziel, sondern nur die Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft friedlich zusammenleben können.

Ohne Ordnung keine Integration

Somers begriff, dass er das Klima in der Stadt verändern muss. Und er begann mit dem Offensichtlichen: dem Dreck auf den Straßen, dem Mangel an Sicherheit. Ohne Ordnung, so die Erkenntnis, kann es nur Konfrontation geben, keine Integration. Also wurde die Stadtreinigung modernisiert, wurde die Zahl der Polizisten auf den Straßen erhöht, wurden Kameras installiert, um öffentliche Plätze zu überwachen. Kameras verhindern keine Verbrechen, lautet das Motto einflussreicher Datenschutz-Organisationen. Mechelen hat des Gegenteil bewiesen. Die Kriminalitätsrate in der Stadt ist heute unter dem belgischen Durchschnitt. Auch wegen der Kameras gehen Frauen heute wieder abends in die Innenstadt, das war vor einigen Jahren noch anders.

Stadtentwicklung und Integration gehören zusammen

Eine Stadt wirtschaftlich neu zu beleben und die Herausforderung einer wachsenden Migration zu bewältigen sind keine getrennten Politikfelder. Im Rathaus von Mechelen wird beides zusammen gedacht. In den Randbezirken, deren Bevölkerung besonders multikulturell ist, hat die Stadt viel Geld investiert, um neue Parks zu bauen, Straßen zu reparieren, Sporthallen und Schulen zu errichten, Sozialwohnungen zu renovieren oder neu zu bauen. Die ärmsten Gegenden der Stadt sehen heute aus wie normale bürgerliche Vorstädte, nicht wie Problemviertel. In der historischen Innenstadt investierte Somers ebenfalls. Neue Straßenbeläge, schönere Plätze, verschlossene Hinterhöfe wurden für die Öffentlichkeit als Ruheraum geöffnet.

 

Bart Somers im Interview mit Vielfalt leben – Gesellschaft gestalten

Immer im Dialog

Eine weitere Säule von Bart Somers Politik ist der ständige Dialog, der in der Stadt stattfindet. Jeder soll mit jedem reden. Erst im persönlichen Kontakt, so die Botschaft, können Ängste und Vorurteile abgebaut werden. Somers selbst ist der erste, der das praktiziert. Ein kurzer Tee in der Moschee, ein Besuch beim Jugendzentrum, ein Plausch auf der Straße. Somers, der in der Stadt aufgewachsen ist, kennt Mechelen und seine Bewohner gut und ist in ständigem Kontakt. In seinem Telefonbuch stehen alle wichtigen Akteure, und wenn ein Problem auftaucht, reicht oft ein kurzer Anruf, um Dinge zu regeln. Und wenn es sein muss, kann er auch Marathon. Zehn Jahre dauerte es, bis er durchgesetzt hat, dass die Muslime ihre Toten auf dem Friedhof mit dem Kopf Richtung Mekka begraben durften.

Niemand soll sich abkapseln

Die Initiative Samen Inburgeren steht beispielhaft dafür, wie die Dialog-orientierte Politik von Somers Früchte trägt. Alteingesessene Mechelener werden Paten für Menschen, die neu in der Stadt leben. Der Grund, warum in ganz Flandern hunderte junger Muslime nach Syrien in den Krieg zogen oder zu Terroristen wurden, nur in Mechelen nicht, liegt in dem Ansatz von Somers, dass sich niemand abkapseln soll. Es soll keine Ghettos geben, und keine separaten Räume, an denen nur Marokkaner, nur Afghanen, nur Flamen Zugang haben. „Wir müssen aufhören in Gruppen zu denken“, gibt Somers anderen Städten mit auf den Weg.

Keine Angst vor Regulierung

Je tiefer man in die Politik der Stadt eintaucht, desto spannender wird das Geflecht aus vielen kleinen Ideen, Problemlösungen und kreativen Workarounds, mit denen Mechelen seine zahlreichen Probleme adressiert hat. Dabei schreckt Bart Somers auch nicht vor zunächst sehr hart erscheinenden Regulierungen zurück. In Teil 2 unserer Mechelen-Serie geht es darum, mit welchen Maßnahmen die Stadt überraschende Erfolge erzielt hat.