Toronto macht Vielfalt zum Markenzeichen

Little Italy, Little India, Greektown, Chinatown, Koreatown, Little Jamaica, Little Portugal oder das polnisch geprägte Roncesvalles – in Toronto ist man auch immer in der Welt unterwegs. Die 2,7-Millionen-Metropole am Ontario-See wird als multikulturellste Großstadt der Welt bezeichnet. Eine Behauptung, die kaum nachgewiesen werden kann, aber mittlerweile so sehr in das Selbstverständnis der Bewohner eingegangen ist, dass Toronto die Vielfalt zum Motto der Stadt gemacht hat: „Diversity Our Strength“.

 

Ungewöhnliche Metropole

Die Greater Toronto Area ist die fünftgrößte Metropolregion in Nordamerika. Sie verfügt über eine überdurchschnittlich hoch qualifizierte und größtenteils mehrsprachige Bevölkerung, ein Standortvorteil, der zunehmend wichtig wird. Bereits heute ist die Stadt das Zentrum für Finanzdienstleistungen in Kanada und die drittgrößte Finanzmetropole Nordamerikas nach New York und Chicago. Perspektivisch noch wichtiger ist jedoch der Technologiesektor. 14.600 Tech-Unternehmen mit 159.000 Angestellten besitzt die Stadt. Darunter das weltweit mit Spannung beobachtete Sidewalk Lab der Google-Mutter Alphabet, in dem intelligente Lösungen für die Stadtentwicklung und die Smart Cities der Zukunft entwickelt werden.

 

„A fun place to work and live“

Auch neue Forschungseinrichtungen treiben die Technologiebranche in Toronto voran, zum Beispiel das neue Vector Institute for Artificial Intelligence. Dessen Forschungsdirektor, der international bekannte AI-Experte Richard Zemel, glaubt an die Konkurrenzfähigkeit des Standortes Toronto – wegen seiner Vielfalt. Um seiner AI Fairness beizubringen, setzt er auch auf die ethnische und kulturelle Vielfalt seiner Mitarbeiter. Sie sollen verhindern, dass Künstliche Intelligenz dazu beiträgt, gesellschaftliche Gruppen zu diskriminieren, etwa bei Fragen der Kreditwürdigkeit. Potenzielle Mitarbeiter im Boom-Sektor Künstliche Intelligenz hält er vor allem mit einem Argument davon ab, ins kalifornische Silicon Valley zu gehen: „When I’m recruiting new talent, one of my big selling points is that Toronto is simply a fun, lively place to work and live“, so Zemel.

 

Talente werden bewusst angezogen

Die bunte Gute-Laune-Stadt Toronto ist attraktiv für die neue Generation talentierter Nerds. Zudem hat das qualifikationsbasierte Zuwanderungssystem Kanadas eine überproportionale Vertretung von Einwanderern mit einer Qualifikation in den MINT-Fächern bewirkt: Einwanderinnen und Einwanderer im Alter von 25 bis 64 Jahren machen etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung Kanadas dieses Altersspektrums aus und gleichzeitig über ein Drittel der Personen mit einem universitären Abschluss in den MINT-Fächern.

 

Engagement für Integration

Die Stadtverwaltung von Toronto hat viel getan, die wachsende Vielfalt in der Stadt – 51,5 Prozent der Bewohner gehören zu einer Minderheit – zu steuern, sowohl mit externen als auch mit internen Maßnahmen. Die bedarfsgerechte Gestaltung öffentlicher Leistungen wird durch das Prinzip „Equity of Outcome“ sichergestellt, wobei Vielfalt als Ressource für nachhaltigen und inklusiven Wohlstand genutzt wird. 2018 gehört die Stadt zu „Canada’s Best Diversity Employers“, zu den 100 besten Arbeitgebern des Landes, die Vielfalt fördern. Bei der Begründung der Jury wurden verschiedene beispielhafte Aktionen hervorgehoben. So gründete die Stadt 2004 das Programm „Profession to Profession Mentoring Immigrants“ als Antwort auf die Beschäftigungsbarrieren, mit denen qualifizierte Einwanderer konfrontiert sind, und schuf bislang etwa 1500 Mentoring-Beziehungen.

 

Wer vertritt die Minderheiten?

Ein weiteres Beispiel: Die Stadt fördert die Beteiligung von Frauen an der Kommunalverwaltung. Durch ein Programm erhalten junge Frauen Unterstützung von Stadträtinnen und lernen die Arbeit in der Bürgervertretung kennen. Der Stadtrat ist in der Tat ein heikler Punkt in der sonst so vielfarbigen Multikulti-Stadt: 90 Prozent aller Abgeordneten im Stadtparlament sind nämlich weiß. Ein Punkt, den Aktivisten schon lange beklagen und bei dem auch die Stadtoberen mittlerweile zugeben, dass hier dringender Nachholbedarf besteht, um die Bevölkerungsstruktur besser abzubilden.

 

 

Das Image schillert bunt

Aber auch dieser nichtrepräsentative Stadtrat hat es verstanden, das Image Torontos als kulturell vielfältigste Metropole Kanadas zu schärfen. Und das Motto „Diversity Our Strength“ wird tatsächlich gelebt. Infoportale und Hotlines der Stadt informieren die Bürger in über 180 Sprachen. Eine Maßnahme mit hoher Symbolkraft ist der jährlich stattfindende „Newcomer Day“: An diesem Tag stellt die Stadt ein vielseitiges Kultur- und Informationsangebot auf die Beine, um neu angekommene Bewohnerinnen und Bewohner willkommen zu heißen und eine auch emotionale Verbindung zur Stadt herzustellen. Ein Höhepunkt dieses Tages ist ein zeremonieller Akt zur Ablegung des staatsbürgerschaftlichen Eides.

 

Vielfalt verankert

Zentral für die Diversity-Politik der Stadt ist heute die 2011 gegründete „Equity Diversity and Human Rights Division“ (EDHR). Zu den Hauptaktivitäten der Abteilung gehören die Beratung und das Monitoring von Stadtverwaltung, Behörden und Beschäftigten bezüglich Vielfaltsaspekten sowie die Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Ein Beispiel für letzteres ist die 2016 gestartete Kampagne „Toronto for All“. Die Aktion macht auf noch bestehende Formen des Rassismus sowie Islamophobie aufmerksam. Das Programm organisierte 41 Bürgerdialoge mit über 800 afrokanadischen Bürgerinnen und Bürgern, deren Ergebnisse in den „Toronto Action Plan to Confront Anti-Black Racism“ mündeten. Die perfekte „Metropole der Vielfalt“ ist Toronto wohl noch nicht, aber viele Akteure arbeiten daran.