Ungleichheit und Zusammenhalt
Über soziale Ungleichheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt wird aktuell wieder viel diskutiert. Dabei geht es darum, was Ungleichheit für die Gesellschaft insgesamt bedeutet. Beim Global Solutions Summit (GSS) vom 18-19. März in Berlin war ich auf ein Panel zu diesem Thema eingeladen. Im Kern sollte es darum gehen, wie man Ungleichheit und Zusammenhalt messen kann und welche politischen Strategien aus solchen Messungen folgen. Und wie der Titel der Veranstaltung andeutet, sollten natürlich auch gleich die großen Lösungen formuliert werden. Auf dem Podium saßen neben mir noch Gianluca Grimalda vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, Blair Sheppard von PwC und Ellen Ehmke von Oxfam. Moderiert wurde das Ganze von Rolf Langhammer, ebenfalls vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Am Ende kam noch, leider etwas verspätet, Werner Eichhorst vom IZA aus Bonn dazu. Die Veranstaltung hatte ein strenges Zeitregime und so konnten wir nur knappe 50 Minuten über dieses wichtige, aber durchaus facettenreiche Thema diskutieren (inklusive Diskussion mit dem Publikum). Auf ein paar der Punkte, die ich beim GSS nur anreißen konnte, möchte ich hier nochmal eingehen und mit ein paar Belegen versehen.
Ungleichheit messen
Mein Thema ist natürlich im Kern der gesellschaftliche Zusammenhalt. Eine unserer letzten Studien zeigt, wie man dies im Rahmen einer Umfrage messen kann. Hier an dieser Stelle konzentriere ich mich aber auf Ungleichheit. Sucht man nach international vergleichenden Zahlen zur Ungleichheit, findet man häufig Werte für die Verteilung von (Arbeits-)Einkommen, in der Regel angegeben als Gini-Koeffizienten. Auch wir arbeiten in unseren Studien häufig damit und kommen auf dieser Basis zu spannenden Ergebnissen (siehe weiter unten), jedoch wird man allein mit der Konzentration auf Einkommensungleichheit, gemessen mit dem Gini, der ganzen Sache nicht wirklich gerecht. Hier ein paar Gründe dafür:
Der Gini-Koeffizient und die Extreme der Verteilung
Der Gini-Koeffizient gibt an, wie etwas (z.B. Einkommen) über eine Menge an Einheiten (z.B. Menschen) verteilt ist. Wenn alle Menschen den gleichen Anteil am Gesamteinkommen haben, nimmt er den Wert 0 an. Entfällt das Gesamteinkommen auf nur eine Person und alle anderen gehen leer aus, liegt der Gini bei 1. Damit liefert diese Kennzahl bereits einen guten Richtwert für die Ungleichheit in einer Gesellschaft. Der Wert ist aber etwas ungenau, wenn die Mitte der Verteilung stark ist: Wenn ein großer Teil der Bevölkerung mittlere Einkommen hat und nur jeweils wenige entweder ein geringes bzw. gar kein Einkommen oder ein immens hohes Einkommen haben, verliert man diese extremen Pole mit dem Gini leicht aus dem Blick. Hierfür hat sich inzwischen eingebürgert, das Verhältnis der Extremgruppen zueinander zu betrachten, z.B. um welchen Faktor das Einkommen der obersten zehn Prozent im Verhältnis zu den untersten zehn Prozent höher ist.
Welches Einkommen wird einbezogen?
Die Debatte um die wachsende Ungleichheit wird mitunter hart geführt und schnell werden unterschiedliche Werte gegeneinander in Stellung gebracht. Dabei muss man beachten, welches Einkommen zur Messung von Ungleichheit herangezogen wird: Berücksichtigt man das Einkommen vor oder erst nach Abzug der Steuern? Betrachtet man nur das Einkommen, das jemand durch Arbeit bezieht oder berücksichtigt man auch Transferleistungen des Staates? Wie geht man mit den Einkünften um, die Personen aus Kapitalbesitz beziehen, wie beispielsweise Miteinkünfte, Zinsen oder Dividenden? Welchen Unterschied die Messung für das Ergebnis macht zeigen beispielsweise der Kurzbericht Nr. 29/2018 des Instituts der Deutschen Wirtschaft oder auch dieses Papier zu Einkommensungleichheit und Armutsrisiko (pdf!) des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. All diese Fragen muss man klären, denn je nach Antwort verändert sich die Bewertung der Einkommensungleichheit in einem Land.
Beim Vermögen wird alles komplizierter
Über Einkommen und Einkommensverteilungen liegen umfangreiche Datenbestände vor. Deshalb werden diese Werte auch so häufig genutzt. Klar ist aber auch, dass die größere und möglicherweise bedeutsamere finanzielle Ungleichheit in den meisten Gesellschaften hinsichtlich der Vermögen besteht. Hierüber gibt es aber weit weniger Daten und ein klares Bild ist viel schwieriger zu erhalten (das thematisiert beispielsweise der Wochenbericht 7/2015 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung). Und selbst Steuerdaten, wenn sie denn vorhanden sind, liefern nicht unbedingt die beste Lösung und man ist weiterhin auf Schätzungen angewiesen ist (siehe dazu DIW Discussion Paper 1717/2018). Bestimmte Vermögensbestandteile sind darüber hinaus generell schwerer zu bewerten: Wer eine umfangreiche Kunstsammlung oder Oldtimer in der Garage stehen hat, verfügt über ein Vermögen, dessen tatsächlicher Wert sich häufig erst dann zeigt, wenn diese Güter gehandelt werden. Aber auch ein Aktiendepot unterliegt mitunter großen Schwankungen. Deshalb ist man beim Vermögen – insbesondere bei den besonders Wohlhabenden – auf Schätzungen angewiesen.
Ungleichheit jenseits des Geldes: Teilhabe und Macht
Letztlich ist auch fraglich, ob sich Ungleichheit nur auf die individuelle finanzielle Ressourcenausstattung beziehen sollte. So unterschätzt man leicht die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft, wenn man den Ausschluss einzelner Bevölkerungsgruppen von Zugängen zu Bildung, Arbeit oder auch politischer Macht ignoriert. Ungleichheit ist eben nicht nur Einkommen und Vermögen, sondern betrifft auch die Chancen, an der Gesellschaft in unterschiedlicher Art und Weise teilzuhaben. Wenn alle Menschen den gleichen Zugang zu hochwertiger Bildung und leistungsfähiger Gesundheitsvorsorge haben, so ist dies eben auch ein Weg, um Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft zu reduzieren.
Weniger Ungleichheit ist besser für alle Menschen
Also, Ungleichheit zu messen ist gar nicht so einfach. Aber der Aufwand lohnt sich, wie unsere eigenen Erfahrungen zeigen. Vor einiger Zeit haben wir beispielsweise, gemeinsam mit der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) eine Studie durchgeführt, die den Zusammenhang von Ungleichheit, gesellschaftlichem Zusammenhalt und individueller Lebensqualität untersucht hat. Dabei haben wir auch als Maß für die Ungleichheit auf den Gini-Koeffizienten der Einkommensverteilung zurückgegriffen (verbunden mit all den Einschränkungen, die ich oben bereits beschrieben habe). Das Ergebnis der Studie war eindeutig: Dort wo die Ungleichheit geringer ist, ist der Zusammenhalt stärker. Und dort, wo der Zusammenhalt stärker ist, da ist auch das subjektive Wohlbefinden der einzelnen Menschen größer. Dies gilt übrigens für alle Gruppen in der Gesellschaft, also nicht nur für die Armen, sondern auch für die Wohlhabenden, wie zwei der beteiligten Wissenschaftler in einem weiteren Aufsatz zeigen konnten. Kurzum: Weniger Ungleichheit stärkt den Zusammenhalt und verbessert so die Lebensqualität aller Menschen.