Neue Orte der Vereinbarkeit, Integration und Teilhabe: Coworking-Spaces im ländlichen Raum
Im Rahmen des Projektes „Betriebliche Arbeitswelt in der Digitalisierung“ beschäftigen wir uns bereits seit einigen Jahren mit den unterschiedlichen Facetten der Zukunft der Arbeit. Im Mittelpunkt unserer Forschung steht für uns der Mensch. Zentrale Fragen, die uns beschäftigen sind: Wie wirkt sich die fortschreitende Technisierung auf die Arbeitsorganisation aus? Und welche Möglichkeiten eröffnet die digitale Transformation für die Arbeitenden?
Schon vor der Covid-19-Pandemie konnte man beobachten, dass immer mehr Arbeitende ihre Tätigkeit mobil, d.h. am Ort oder zum Zeitpunkt ihrer Wahl ausüben wollten, weil es ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erleichterte. Mittlerweile gibt es eine erfreuliche Vielfalt an Shared Workspaces. Es handelt sich hierbei nicht nur um büroähnliche Angebote, sondern auch um Werkstätten wie Makerspaces, oder Arbeitsflächen im halböffentlichen Raum, beispielsweise in Cafés, Lounges oder sogar um Angebote in Einkaufszentren. Die Pandemie beförderte diese Entwicklung noch. Denn hier erprobten von „heute auf morgen“ unzählige Arbeitnehmenden die Arbeit im sogenannten Homeoffice und erkannten schnell sowohl die Vorteile, als auch die Herausforderungen. Die Idee des Dritten Arbeitsortes, d.h. des Shared-Workspaces und ganz besonders die des Coworking-Spaces, überzeugte schnell aufgrund einer guten Infrastruktur und der vermissten sozialen Kontakte. Ein Coworking-Space ist hierbei als ein Ort zu verstehen, an dem Menschen zusammenkommen, um gemeinsam, aber nicht unbedingt miteinander zu arbeiten. Neue Orte des Arbeitens. Bertelsmann Stiftung.
Die Frage, die sich stellt ist daher, in welcher Form und unter welchen Bedingungen diese Art des „alleine zusammen Arbeitens“ auch auf den ländlichen Raum übertragbar ist. In unserer Trendstudie „Coworking im ländlichen Raum – Menschen, Modelle, Trends“, die wir gemeinsam mit der Coworkland e.G. und dem Netzwerk Zukunftsorte e.V. durchgeführt haben, lassen sich zahlreiche Beispiele hierfür finden.
Coworking auf dem Land ist gut für Umwelt, Regionalentwicklung, Fachkräftesicherung und die persönliche Work-Life-Balance
Die gute Nachricht: Mit Hilfe dieser neuen Angebote könnte das durch den Wegzug von Arbeitskräften bedingte Aussterben von Kleinstädten und Dörfern wahrscheinlich ein Stück weit aufgehalten werden. Ländliche, vormals strukturschwache Regionen könnten durch den Zuzug von Familien und das Wiederaufleben von Infrastruktur sogar gestärkt werden. Dies wäre vor allem auch dort denkbar, wo eine Region mit ihrer Ländlichkeit und Abgeschiedenheit Eigenschaften hat, die bisher eher auf Wirtschaftsschwäche hindeuten. Mit dem Arbeiten auf dem Land würde sich dieser Standortnachteil in einen Standortvorteil verwandeln.
Daneben böten Ressourceneinsparungen finanzieller, zeitlicher und umweltbezogener Art Vorteile auf Seiten der Beschäftigten und eine Erweiterung des Fachkräfteeinzugsgebietes zudem wirtschaftliche Vorteile für Betriebe, die sich auf dieses Angebot des Arbeitens auf dem Land einlassen.
Diese Form des Arbeitsplatzangebotes wäre damit nicht nur aus arbeitsorganisatorischer Sicht und zum Wohle der Arbeitenden sinnvoll. Sie wäre auch aus Gründen der Regionalentwicklung und insbesondere der Ressourcen- schonung für eine nachhaltigere Arbeitswelt von großem Mehrwert, so unsere weitergehenden Schlüsse aus den zahlreichen Interviews. Menschen könnten bei Bedarf wohnortnah gut ausgestattete Arbeitsplätze nutzen und müssten nicht mehr zwingend in die Nähe des Betriebsortes ziehen oder tägliches Pendeln auf sich nehmen.
Folgende Vorteile des Coworking im ländlichen Raum konnten wir identifizieren:
Coworking auf dem Land ist vielfältiger als in den Städten
Um dies beurteilen zu können, war es notwendig, die Motivation der Nutzer:innen, der Gründer:innen sowie die unterschiedlichen bereits erfolgreich agierenden Initiativen zu untersuchen. Wir haben dabei festgestellt, dass die Zielgruppen, die Coworking auf dem Land nutzen oder auf Dauer nutzen könnten, weitaus heterogener als in den Städten sind – zum einen nutzen zunehmend auch Angestellte und nicht nur Selbstständige und Freelancer:innen die Neuen Arbeitsorte. Zum anderen stammen die Nutzer:innen aus sehr diversen Branchen. Sie bilden damit die ganze Breite der Gesellschaft ab.
Coworking auf dem Land bedient sich anderer Geschäftsmodelle
Die Geschäftsmodelle von Coworking-Spaces in Großstädten sind ohne Adaption nicht auf dem ländlichen Raum übertragbar. Zu Beginn unserer Recherche erschien es sogar fraglich, ob ein Coworking-Space auf dem Land überhaupt nach üblichem Verständnis wirtschaftlich erfolgreich arbeiten kann. Es wurde daher untersucht, unter welchen Bedingungen ein Erfolg eintreten kann und wie alternative Geschäftsmodelle aussehen, die ein dauerhaftes Überleben eines Coworking- Space sicherstellen. Nach unseren Untersuchungen existieren abgrenzbare, in sich wirtschaftliche Geschäftsmodelle, die sich vom städtischen Coworking klar unterscheiden. Zu diskutieren wäre hierbei langfristig die Rolle von Kommunalpolitik und Wirtschaftsförderung vor Ort.
Coworking auf dem Land funktioniert vor allem als Netzwerk
Wir fanden bei der Untersuchung der Geschäftsmodelle unterschiedliche Ansätze, die aber alle einen Punkt gemeinsam hatten: den Netzwerkgedanken. Denn Coworking auf dem Land funktioniert vor allem dort, wo Netzwerke geschaffen oder genutzt werden, sowohl im Aufbau als auch in der Vermarktung. Besonders gut funktionieren sie, wenn Akteure der unterschiedlichen Sektoren zusammenwirken und den Betrieb als gemeinschaftliche Kraftanstrengung verstehen.
Coworking auf dem Land profitiert von mobilen Arbeitsstilen
Dank der digitalen Transformation und befeuert durch die Auswirkungen der Covid-19 -Pandemie auf die Arbeitswelt, entstehen neue, mobile Arbeitsstile, die das Arbeitsleben prägen. Die Menschen nutzen zunehmend flexibel und anlassbezogen Arbeitsorte, d.h., der “eine“ Arbeitsort hat ausgedient. Neue Arbeitsorte im ländlichen Raum profitieren von dieser Entwicklung.
Coworking auf dem Land hat belebende Effekte auf Ortsgemeinschaften
Eine der für uns interessantesten Ausgangsfragen war, inwieweit sich diese Entwicklungen auf die Daseinsvorsorge auswirken. Im Rahmen der Befragungen wurden Hinweise darauf gefunden, dass dank der entstehenden Neuen Arbeitsorte und der Möglichkeit des mobilen Arbeitens Zuzug auch wieder in periphere ländliche Räume stattfindet und bereits erste belebende Effekte zu erkennen sind.
Außerdem ist auch ein belebender Effekt der Orts-Gemeinschaft an sich festzustellen. Denn Coworking Spaces sind ein idealer Ort, an dem alle drei Sektoren (Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kommune) auf Augenhöhe zusammenarbeiten können und so einen wertvollen Beitrag für eine lebendige Ortsgemeinschaft leisten können. Der Coworking Space wird so zur neuen „Dorfmitte“ und damit zu einem wichtigen Element der Daseinsfürsorge und der Integration.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Coworking auf dem Land ist zwar nur sehr selten wirtschaftlich, aber gesellschaftlich sehr wünschenswert.