Alleinerziehende weiter unter Druck
Nach einem langen Tag im Job schnell noch einkaufen, das Kind vom Fußballtraining abholen, kochen und vor dem Ins-Bett-Bringen noch gemeinsam Lesen üben oder Vokabeln lernen. Die Wäsche muss noch aufgehängt und der Antrag für den Zuschuss zur Klassenfahrt ausgefüllt werden. Am Abend sind trotzdem viele Dinge liegen geblieben: Der Termin bei der Kinderärztin ist immer noch nicht vereinbart und neue Turnschuhe müssten dringend gekauft werden. Der Alltag der 1,5 Millionen Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern in Deutschland kennt wenig Pausen.
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„There is no such thing as Feierabend, wenn du alles allein machen musst“, bringt Christine Finke, alleinerziehende Mutter, Autorin und Stadträtin es auf Twitter auf den Punkt. Und in vielen Fällen kommen zur alltäglichen Routine noch besondere Hilfe- und Unterstützungsbedarfe sowie Konflikte mit dem getrennt lebenden Elternteil hinzu, die Termine bei Anwält:innen und verschiedenen Ämtern nach sich ziehen.
Hohe Armutsbetroffenheit – trotz Erwerbstätigkeit
Erwerbstätigkeit, Kinder und Haushalt – das alles managen Alleinerziehende vorwiegend allein. Zwar gibt es Eltern, die sich nach der Trennung die Sorge um ihre Kinder annähernd gleich aufteilen. Bisher leben aber nur ca. 4 Prozent aller Familien dieses sogenannte „paritätische“ Wechselmodell und weitere 5 Prozent einen erweiterten Umgang, bei dem der Kontakt zum anderen Elternteil mehr als einmal wöchentlich besteht. In den meisten Fällen liegt damit laut Statistik die Hauptverantwortung bei einem Elternteil – in neun von zehn Fällen der Mutter.
46 Prozent der alleinerziehenden Mütter arbeiten in Vollzeit oder vollzeitnah, weitere 20 Prozent in Teilzeit und 6 Prozent sind geringfügig beschäftigt. Nicht in jedem Job ist eben alles unter einen Hut zu bekommen. Schichtarbeit, Überstunden oder auch Dienstreisen stellen Alleinerziehende vor besondere Herausforderungen. Gute, ganztägige Kitas und Schulen können hier helfen, aber eben nicht alles auffangen. Das führt auch dazu, dass Alleinerziehende besonders oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt sind, denn der Job muss vor allem zu ihrer familiären Situation passen. Und Kinder brauchen Zeit.
Schichtarbeit, Überstunden oder auch Dienstreisen stellen Alleinerziehende vor besondere Herausforderungen.
Die Folge: Trotz Erwerbstätigkeit sind viele alleinerziehende Familien von Einkommensarmut betroffen. 43 Prozent gelten als armutsgefährdet – bei den Paarfamilien mit einem Kind sind es zum Vergleich „nur“ 9 Prozent, mit zwei Kindern 11 Prozent. Daran haben auch die politischen Reformen für Alleinerziehende der letzten Jahre – wie die Ausweitung des Unterhaltsvorschuss oder die Erhöhung des Entlastungsbetrags – nichts geändert. Insgesamt verharrt die Einkommensarmut von Ein-Eltern-Familien seit Jahren auf hohem Niveau. Zwar ist positiv zu bewerten, dass im Jahr 2020 mit 33,5 Prozent deutlich weniger Alleinerziehende von SGB II-Leistungen abhängig waren als noch vor fünf Jahren (38,1 Prozent). 40 Prozent der alleinerziehenden SGB II-Bezieher:innen sind dabei erwerbstätig – sogenannte Aufstocker:innen. Alleinerziehende und ihre Kinder in eine finanziell abgesicherte Situation zu bringen, ist noch lange nicht gelungen.
Enorme Belastungen durch die Corona-Krise
Die Corona-Pandemie hat Alleinerziehende und ihre Kinder zusätzlich belastet. Geschlossene Kitas und Schulen sowie die Kontaktbeschränkungen waren ein harter Einschnitt in ihr Leben. Denn sie sind im Alltag ganz besonders auf gute Betreuungsangebote und ein verlässliches Netzwerk, z. B. aus Großeltern, Nachbar:innen und Freund:innen angewiesen. Von Armut betroffene Alleinerziehende litten mitunter besonders unter beengten Wohnverhältnissen. Zudem fehlte ihnen und ihren Kindern oft eine angemessene digitale Ausstattung für den Distanzunterricht. Auch das kostenfreie Mittagessen in Schule oder Kita sowie der Einkauf bei den Tafeln fiel weg. Viele Alleinerziehende arbeiten zudem im Niedriglohnbereich – dort waren die Corona-bedingten finanziellen Einbußen besonders hoch. Und viele sind auch in systemrelevanten Berufen wie etwa dem Einzelhandel oder der Pflege tätig. Sie hatten daher ein höheres Infektionsrisiko – und gleichzeitig besonders große Angst vor einer Ansteckung, denn wer würde sich um ihre Kinder kümmern, wenn sie schwer erkranken?
Reformen für Alleinerziehende sind notwendig – jetzt!
Reformen für alleinerziehende Familien gehören daher jetzt ganz oben auf die Agenda der Politik. Oberstes Ziel muss dabei die Vermeidung von Kinderarmut sein. Denn für Eltern wie Kinder hat Armut oft Folgen für das ganze Leben. Mangel, Verzicht, Ausgrenzung und Beschämung sind für sie an der Tagesordnung. Was für andere Kinder ganz normal ist – Geburtstag feiern, mal mit Freund:innen ins Kino oder Eis essen gehen, ein selbst gewähltes Hobby ausüben – ist für sie nicht möglich. Wie sich Armut für Kinder und Jugendliche anfühlt, zeigt die Social Media Initiative #StopptKinderarmut sehr eindrücklich. Unter den Videos finden sich zahlreiche Kommentare von jungen Menschen, die zu einem Großteil selbst von Armut betroffen sind oder waren. Sehr viele von ihnen beschreiben auch, welche Anstrengungen ihre alleinerziehenden Eltern unternommen haben, um den Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen – trotz Schwierigkeiten.
Es darf nicht sein, dass fast jedes zweite Kind im SGB II-Bezug in einer alleinerziehenden Familie lebt und aufwächst. Kinder und Jugendliche gehören nicht in ein System des „Forderns und Förderns“. Sie brauchen vielmehr eine Kindergrundsicherung bzw. das von uns vorgeschlagene Teilhabegeld für Kinder und Jugendliche. Das Teilhabegeld deckt die tatsächlichen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen für gutes, gesundes Aufwachsen und echte Teilhabe, d. h. Kosten rund um Bildung, Hobbies, aber auch sich mit Freund:innen treffen zu können oder den Geburtstag zu feiern. Es bündelt und ersetzt bestehende Leistungen für Kinder wie die SGB II-Regelbedarfe, das Kindergeld, den Kinderzuschlag und viele Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets. Mit steigendem Einkommen der Eltern wird es abgeschmolzen, damit es gezielt Armut vermeidet. Mit Blick auf Alleinerziehende sollten bei der Berechnung des Teilhabegeldes bei Bedarf die Unterhaltsansprüche der Kinder auf den Staat übertragen werden können. Damit könnten Konflikte beim Unterhalt verringert werden, die häufig die Beziehung zwischen Kindern und dem getrennt lebenden Elternteil belasten.
Care-Arbeit muss gesellschaftlich und auch im Unterhaltsrecht stärker anerkannt werden.
Alleinerziehende Familien brauchen aber noch weitere Reformen: Erstens muss dringend erhoben werden, welche Mehrbedarfe in alleinerziehenden bzw. getrennten Familien bestehen. Diese Mehrbedarfe müssen abgesichert werden. Denn das Wohl der Kinder sollte den Ausschlag dafür geben, welche Betreuungsmodelle Familien wählen – nicht die finanzielle Situation der Eltern. Zweitens müssen wir mehr darüber wissen, warum der Unterhalt für die Kinder so oft ausbleibt. Entsprechend der Befunde müssen Ideen entwickelt werden, wie dem begegnet wird. Betreuende Elternteile dürfen nicht aufgrund ausbleibenden Unterhalts in Armut abrutschen. Drittens muss Care-Arbeit gesellschaftlich und auch im Unterhaltsrecht stärker anerkannt werden. Denn noch immer kümmern sich Frauen häufiger um Kinder und pflegebedürftige Angehörige, übernehmen mehr Verantwortung für die Familie und stecken dafür beruflich zurück. Im Falle einer Trennung wird das aber weder anerkannt noch berücksichtigt und es droht Armut und später Altersarmut. Und viertens mangelt es weiterhin an guten ganztägigen Kitas und Schulen, flexiblen Betreuungsangeboten in Randzeiten sowie an Jobs, die eine Vereinbarkeit von Familie und Privatleben wirklich gewährleisten.
Diese Reformen dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Alleinerziehende leisten im Alltag enorm viel. Sie verdienen endlich Anerkennung und eine Politik, die ihnen Wertschätzung entgegenbringt und sie und ihre Kinder wirksam unterstützt.
Dieser Beitrag basiert auf der Studie „Alleinerziehende weiter unter Druck“, die Anne Lenze im Auftrag der Bertelsmann Stiftung verfasst hat, sowie auf dem Factsheet Alleinerziehende in Deutschland.