Die Interkulturelle Woche
Wie können wir in Europa universelle Werte verteidigen und Menschen schützen? Wie schlägt sich die Demokratie im Widerstreit mit dem aufkommenden Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus? Welche Werte braucht eine plurale Gesellschaft, um dauerhaft stabil und inklusiv zu sein?
Diese und andere Fragen sind zentrale Leitgedanken der diesjährigen Vorbereitungstagung der Interkulturellen Woche (IKW), die am 15. und 16. Februar 2019 in Berlin stattfand. Die Bertelsmann Stiftung war dieses Jahr als Kooperationspartner mit an Bord und deshalb waren auch meine Kollegin Yasemin El-Menouar und ich vor Ort mit dabei. Ganz klar ist: Die Ideen, mit der die Interkulturelle Woche einst vor über 40 Jahren gegründet wurde, haben an Bedeutung und Aktualität kaum verloren. Es lohnt sich daher, einmal genauer auf die Geschichte der Interkulturellen Woche zu schauen.
Die Woche des ausländischen Mitbürgers
Die Interkulturelle Woche wurde 1975 von der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie ins Leben gerufen. Anfangs lautete der Name aber noch „Woche des ausländischen Mitbürgers“. Erst seit 1991 firmiert sie unter dem Namen Interkulturelle Woche. Anlass zur Gründung war der 1973 in Kraft getretene Anwerbestopp ausländischer Arbeiter. Die im Zuge des Wirtschaftswachstums seit den 1950er Jahren nach Deutschland gekommenen sogenannten „Gastarbeiter“ sollten für eine befristete Zeit in Deutschland arbeiten und danach in ihre Heimatländer zurückkehren. In Folge der Ölkrise wurde 1973 die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte gestoppt und die bilateralen Verträge wurden aufgekündigt. Die zu diesem Zeitpunkt rund 4 Mio. ausländischen ArbeiterInnen in Deutschland standen vor der Wahl: Sie konnten in ihre Heimatländer zurückkehren oder sich auf Dauer in Deutschland niederlassen. Viele entschieden sich dazu, in Deutschland zu bleiben – aus Gastarbeitern wurden Einwanderer, die nun sukzessiv ihre Familien nachholten. Fatal war, dass es zu dieser Zeit keine politische oder gesellschaftliche Strategie zur Integration dieser Menschen gab. Die Deutschen nahmen ihr Land nicht als Einwanderungsland wahr, obwohl dies faktisch schon damals längst der Fall war. Diese Haltung und die fehlende aktive Integrationspolitik erschwerten die Integration zusätzlich und stellten sowohl die Eingewanderten als auch die deutsche Mehrheitsbevölkerung vor große Herausforderungen.
IKW als Ort für den Austausch und Diskussion
Vor diesem Hintergrund stießen 1975 die großen christlichen Kirchen Deutschlands mit der „Woche des ausländischen Mitbürgers“ eine Diskussion über die Gestaltung des Zusammenlebens in einer pluralen Gesellschaft an. Seitdem treten sie für bessere politische und rechtliche Rahmenbedingungen des Zusammenlebens der gesamten Bevölkerung ein. Der Begriff des „Mitbürgers“ wurde dabei bewusst gewählt, um die Gleichberechtigung der Eingewanderten zu betonen. Öffentlich warben die Veranstaltungen der Woche für eine gemeinsame Integrationsstrategie sowie für die Anerkennung der Vielfalt der deutschen Bevölkerung. Dabei lösten die im Zusammenhang der Woche von den Beteiligten formulierte Positionen immer wieder kontroverse Debatten aus. So stand beispielsweise die 1978 formulierte These, Deutschland sei ein „Einwanderungsland“ im Kontrast zur damaligen deutschen Ausländerpolitik. 1987 wurde zudem der Tag des Flüchtlings ins Leben gerufen, um auf die Situation geflüchteter Menschen aufmerksam zu machen. Er ist bis heute fester Bestandteil der Woche. Nach langer Debatte wurde der Name 1991 in „Interkulturelle Woche“ geändert, um dem Selbstbild der Eingewanderten gerecht zu werden, die sich selbst immer mehr als „Inländer“ verstanden.
Neuentfachung der Debatte über Migration und Integration
Über 40 Jahre nach Gründung der Initiative steht das Land erschreckenderweise immer noch vor ähnlichen Herausforderungen. Die Neuausrichtung der Migrations- und Integrationspolitik um die Jahrtausendwende erreichte viele Verbesserung und trieb Entwicklungen voran. Durch die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, das nun Staatsbürgerschaft nicht allein von der Nationalität der Eltern abhängig macht, sowie durch das Zuwanderungsgesetz wurde Integration zur staatlichen Aufgabe. Das Ende 2018 vom Kabinett auf den Weg gebrachte Einwanderungsgesetz soll zudem Zuwanderung gelöst von Berufsfeldern ermöglichen und Einwanderungshürden verringern.
Dennoch kommen diese Entwicklungen in einem Land, in dem 2018 fast jeder Vierte (mit steigender Tendenz) einen Migrationshintergrund hat, sehr spät. Der Zuzug geflüchteter Menschen in den letzten Jahren entfachte die öffentliche Debatte über Migration und Integration neu. Das Aufkommen rechtspopulistischer und rechtsextremer Strömungen, das Aufeinanderprallen gegensätzlicher Positionen und die dadurch entstandene aufgeheizte öffentliche Stimmung deuten darauf hin, dass die deutsche Gesamtgesellschaft sich mit dem Selbstverständnis eines Einwanderungslandes weiterhin schwertut. Die Bertelsmann Stiftung untersucht in diesem Zusammenhang regelmäßig die Einstellungen der BürgerInnen zu Vielfalt und Miteinander.
Begegnung, Teilhabe und Integration als Leitgedanken der IKW
Die ursprüngliche Idee mit der Interkulturellen Woche einen Raum für Begegnung und Diskussion über Integration und Teilhabe zu schaffen, ist aktueller und notwendiger denn je. Das diesjährige Motto „Zusammenhalt leben, zusammen wachsen“ rückt Fragen der Grund- und Menschenrechte in pluralen Gesellschaften, sowie die Wehrhaftigkeit europäischer Werte und liberaler Gesellschaften in Zeiten von Rechtspopulismus, Rassismus und Antisemitismus in den Vordergrund. Dabei wird bewusst dem Ist-Zustand („zusammen leben“) eine dynamische Komponente („zusammen wachsen“) beigefügt, um auf die aktive Gestaltungspflicht der Politik und Gesellschaft hinzuweisen. Ziel ist eine Gemeinschaft, in der das Miteinander verschiedener Menschen auf der einen Seite und Individualität, eigenes kulturelles Bewusstsein und Tradition auf der anderen Seite nicht im Konflikt stehen. Beide Seiten sollen stattdessen gewinnbringend verzahnt werden.
In über 500 Städten werden auch dieses Jahr im September mehrere tausende Veranstaltungen stattfinden, um ein Zeichen für ein solidarisches und gleichberechtigtes Miteinander zu setzen.
Hier finden Sie mehr Infos zum diesjährigen Programm der Interkulturellen Woche.