What´s Next: Zusammenhalt stärken in Zeiten von Corona

Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nicht von allein, sondern muss aktiv gestaltet werden. Dazu tragen Maßnahmen bei, durch die Menschen vor Ort in den persönlichen Austausch und ins gemeinsame Handeln kommen: Dialog- und Beteiligungsformate wie die Nachbarschaftsgespräche, Ideenlabore oder die Initiative „Meine Stadt besser machen“ schaffen solche Räume für Begegnung und Engagement. Corona und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen haben solche Initiativen jedoch vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Viele Akteure machten aus der Not eine Tugend und sind auf digitale Dialogformate umgestiegen. Welche Erfahrungen haben sie damit bisher gemacht? Welche Ansätze haben sich bewährt, um Menschen auch in Zeiten von Social Distancing zusammenzubringen? Und vor allem: Was lässt sich daraus für die Zukunft lernen? Darüber haben sich 22 Akteure aus Stiftungen und zivilgesellschaftlichen Initiativen in unserem Online Workshop „What´s Next: Zusammenhalt stärken in Zeiten von Corona“ Ende Juni 2020 ausgetauscht. Die Ergebnisse möchte ich hier gern in unserem Blog teilen.

 

Herausforderungen bei digitalen Dialogformaten

„Es ist konzeptionell herausfordernd, analoge Dialogveranstaltungen ins Digitale zu übertragen. Eins zu eins funktioniert das nicht,“ so eine Workshop-Teilnehmerin. Methoden für das Kennenlernen, für interaktives oder kreatives Arbeiten, für Austausch und Netzwerken müssen angepasst werden. Außerdem müssen die digitalen Kompetenzen der Teilnehmenden bei der Vorbereitung mitgedacht werden. Zudem die Zeit ist bei Online-Formaten eine Herausforderung: näheres Kennenlernen und persönlicher Austausch brauchen Zeit. Gleichzeitig werden digitale Formate als anstrengender empfunden und sollten daher eher kürzer sein. Viele Akteure finden schließlich die Moderation beim virtuellen Austausch herausfordernder, weil Stimmungen und Körpersprache schlechter transportiert werden. Wie lässt sich mit diesen Herausforderungen umgehen? Wie können Dialog und Begegnung im Sinne guter Praxis digital gestaltet werden?

 

Sechs Tipps für gute digitale Dialogformate

Aus den vielfältigen Erfahrungen unserer Workshop-Teilnehmer lassen sich sechs Tipps für gute digitale Dialogveranstaltungen ableiten.

1. Die Veranstaltung intensiv vorbereiten

Digitale Dialogveranstaltungen erfordern eine intensive Vorbereitung. Zunächst sollte man die Ziele und die Zielgruppen der Veranstaltung definieren: Was und wer soll erreicht werden? Bei der Auswahl der Konferenzsoftware (z.B. Zoom, Skype, Teams) und weiterer digitaler Tools (z.B. das Abstimmungstool Mentimeter oder ein digitales White Board wie Mural) sollte man die Zielgruppe im Blick haben: Jeder Teilnehmer sollte sich beteiligen können – also über die nötige technische Ausstattung, Einwahldaten, Internetzugang und digitale Kompetenz verfügen.

Digitale Dialogveranstaltungen sollten nicht zu lang dauern. Um die virtuelle Präsenzzeit zu verkürzen, ist es sinnvoll, die Zeit vor der Veranstaltung intensiver zu nutzen und die Teilnehmer schon vorab einzubeziehen. Durch Vorgespräche oder Briefings etwa können bestimmte Inhalte vorab vermittelt werden. Über eine digitale Pinnwand oder Social Wall (z.B. Padlet) können die Teilnehmer schon in Kontakt miteinander kommen und sich vernetzen. Anhand von Fragen können sie Inhalte schon vorbereiten, die in die Veranstaltung eingebracht werden sollen.

2. Tools und Methoden zielführend und zielgruppengerecht einsetzen

Für digitale Dialogformate gilt: Kein technischer Schnick-Schnack, keine Methodenflut. Sowohl die Arbeitsmethoden (z.B. Impulse, Gruppenarbeit, Übungen) als auch die technischen Hilfsmittel (z.B. Mentimeter, Mural) sollten so eingesetzt werden, dass sie den Zielen der Veranstaltung dienen und den Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht werden. Ein gewisses Maß an Methodenvielfalt ist sinnvoll und hilft im digitalen Raum die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden zu erhalten: So bietet es sich an, nach einem Impulsvortrag in eine interaktive Gruppenarbeit oder praktische Übung zu wechseln.

Zu viele verschiedene Methoden oder technische Tools können jedoch die Veranstaltung überfrachten und als überfordernd empfunden werden. Bei der Methoden- und Toolauswahl gilt also: Die Teilnehmenden „methodisch“ und „technisch“ mitnehmen! Digitale Austauschformate sollten niedrigschwellige und nutzerfreundliche Tools verwenden. Da Dialogveranstaltungen grundsätzlich darauf abzielen, Menschen in den Austausch zu bringen, eignen sich zudem vor allem interaktive und partizipative Methoden und Tools.

3. Klar und interaktiv moderieren

Bei digitalen Dialogveranstaltungen befindet man sich nicht in einem Raum, in dem man jede Reaktion und die Körpersprache der Teilnehmenden wahrnehmen kann. Soziale Interaktion ist nur eingeschränkt möglich. Daher braucht es für digitale Dialogveranstaltungen eine besonders klare und strukturierte Moderation, die den Teilnehmenden eine gute Orientierung gibt. Hierzu gehört, im Blick zu haben, wer als Nächstes sprechen darf, die Sprecherrolle explizit zuzuweisen und darauf zu achten, dass alle zu Wort kommen und sich einbringen können. Wird interaktiv gearbeitet – etwa mit Hilfe eines digitalen White Board wie Mural – braucht es klare Anweisungen, wer was wie und wann tun soll. Zudem sollte die Moderation sehr interaktiv erfolgen, um die Stimmung in der Gruppe einschätzen und darauf reagieren zu können. Sie sollte etwa die Teilnehmer dazu anregen, sich aktiv einzubringen, Eindrücke zu teilen und Feedback zu geben. Hierzu eignen sich gezielte Nachfragen, Blitzlichter oder die Bitte um Emojis-Reaktionen. Schließlich ist es hilfreich, die technische und inhaltliche Moderation aufzuteilen.

4. Digitale Atempausen einplanen und Zeit für die Reflexion geben

Auch wenn digitale Dialogveranstaltungen nicht zu lang dauern sollten: Es braucht digitale Atempausen, in denen die Teilnehmer sich orientieren und auch einmal für sich nachdenken können. Diese individuelle Bedenkzeit ist gerade in Formaten wichtig, in denen Menschen in den Dialog kommen, sich über unterschiedliche Sichtweisen austauschen oder gemeinsam Ideen erarbeiten sollen. Für die Veranstaltungsplanung bedeutet das auch, einige Momente der Ruhe in einem straff durchgeplanten zeitlichen Ablauf einzuplanen und auch Denkpausen auszuhalten. Um gemeinsam Ideen zu entwickeln und zu besprechen, ist es sinnvoll, den Austausch in Breakout-Sessions in Kleingruppen zu verlagern, wo jeder zu Wort kommen und man gemeinsam in Ruhe nachdenken kann.

5. Nähe trotz räumlicher Distanz herstellen

Dialogveranstaltungen leben davon, dass sich die Teilnehmenden einbringen und in einen offenen Austausch kommen. Dies setzt Vertrauen und Nähe voraus. Auch in digitalen Formaten lässt sich das fördern: Die Basis dafür ist eine offene, wertschätzende und zugewandte Haltung der Moderation und ein wertschätzender, respektvoller Umgang miteinander. Zudem sollte dem persönlichen Austausch genügend Zeit eingeräumt werden, um eine Beziehungsebene zwischen den Teilnehmern aufzubauen. Hier kann, wie oben erwähnt, in der Vorbereitungsphase schon gute Vorarbeit geleistet werden.

Beim Einstieg in die Online-Veranstaltung kann man mit einer persönlichen Frage oder einer kleinen Übung das Eis brechen. Bei einer kleinen Teilnehmerzahl bietet sich eine persönliche Vorstellungsrunde im Plenum an. Ist vor der Veranstaltung eine digitale Social Wall mit Steckbriefen der Teilnehmer erstellt worden, kann man gemeinsam einen Blick darauf werfen und Bezüge herstellen sowie Gemeinsamkeiten entdecken. Auch kann man Teilnehmer bitten, einen Gegenstand aus der analogen Umgebung in die Kamera zu halten und zum Beispiel zu erzählen, was sie mit ihm verbinden. Ansonsten eignen sich vor allem intimere Settings für das „Menscheln“, wie Breakout-Sessions, in denen sich Teilnehmer in kleinen Gruppen näher kennenlernen. Auch interaktive Arbeitsmethoden zahlen auf die Beziehungsebene ein: die gemeinsame Arbeit an einer Aufgabe bringt Menschen näher zusammen.

6. Bewegung und Auflockerung reinbringen

Auch wenn dies banal klingt: Auflockerung und Bewegung sollten auch und besonders in digitalen Dialogformaten nicht fehlen. Sie tragen zu einer guten Stimmung und lockeren Atmosphäre bei und nehmen dem digitalen Setting etwas von seiner anstrengenden Seite. Je nach Anlass gibt es verschiedene Möglichkeiten, Bewegung und Auflockerung in den digitalen Raum zu holen. Als Energizer kann man zum Beispiel alle Teilnehmenden auffordern dreimal um ihren zu Stuhl laufen oder die Übung „Hände falten“ durchführen. Vor einer kreativen Arbeitsphase können alle Teilnehmenden vor ihren Bildschirmen die Superman-Pose einnehmen und an einen persönlichen Erfolgsmoment denken.

 

Lehren aus Corona: Wie wollen wir künftig Dialogformate gestalten?

Am Ende unseres What´s Next-Workshops stand die Frage: Was nehmen wir für die Gestaltung von Dialogformaten aus der Corona-Zeit für die Zukunft mit? Die Workshop-Teilnehmern haben vor allem drei Aspekte genannt:

  1. Das Nachdenken über das Methodische: Mit dem Umstieg auf digitale Formate sind viele Beteiligte neue Wege gegangen. Dies war oftmals mit einer intensiveren Vorbereitung verbunden. Die noch tiefergehende Auseinandersetzung damit, was man mit einer Veranstaltung erreichen will, welches Format und welche Methoden oder Tools dafür geeignet sind, wollen viele Akteure in Zukunft bei analogen wie digitalen Dialogveranstaltungen beibehalten.
  2. Der Mehrwert von digitalen Formaten: Digitale Veranstaltungen haben auch Vorteile, die viele Akteure auch in Zukunft nutzen wollen. Es fallen keine Reisen an, was meistens Zeit und Geld spart und auch der Umwelt zugutekommt. Teilnehmende können über große Entfernung hinweg zusammenkommen. Stark nachgefragte Referenten lassen sich bisweilen leichter gewinnen und nicht-mobile Zielgruppen besser einbinden. Für diese Gruppen sind digitale Formate flexibler und inklusiver. Schließlich bieten digitale Tools neue Möglichkeiten für Vernetzung, Austausch und Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund wollen viele Workshop-Teilnehmer in Zukunft abwägen, welche Formate unbedingt analog stattfinden müssen und welche auch digital durchgeführt werden können.
  3. Das Beste aus beiden Welten: Echte Begegnung und soziale Interaktion in der analogen Welt können Online-Formate nicht ersetzen, aber digitale Tools können analoge Ansätze sinnvoll und gewinnbringend ergänzen. Die Zukunft sehen die meisten Akteure in hybriden Formaten – in einem Mix aus digitalen und analogen Ansätzen, die das Beste aus beiden Welten zusammenbringen.

Dies alles klingt danach, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Aus den Erfahrungen mit digitalen Dialogformaten in den letzten Monaten lässt sich einiges für die Zukunft mitnehmen. Für viele Workshop-Teilnehmer, die sich mit Dialog-, Begegnungs- und Beteiligungsformaten für einen starken sozialen Zusammenhalt engagieren, scheint jedenfalls klar zu sein: Die Zukunft – auch nach Corona – gehört hybriden Formaten.