Wie sieht das ‚New Normal‘ für zivilgesellschaftliche Organisationen in der Corona-Zeit aus? Wir haben nachgefragt!

In einer gemeinsamen Umfrage haben die Bertelsmann Stiftung und die Stiftung Bürgermut nachgefragt, welche Unterstützung Organisationen in den nächsten Monaten am dringendsten benötigen. Die Antwort lautete nicht Webcams, mehr Ehrenamtliche oder finanzielle Ausstattung – sondern Wissenstransfer und Austausch. Das zu gestalten liegt auch an jedem von uns.

„Ich habe noch nie so viel Zeit zuhause verbracht, wie in den letzten Monaten!“ – Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen so. Und das dürfte auch schon die einzige Gemeinsamkeit sein – denn „zuhause“ gestaltet sich für jede:n von uns anders. Während einige sich in ihr gut ausgestattetes Arbeitszimmer setzen, teilen andere mit ihrer Familie Wohnzimmer oder Küche. Wie viel soziale Ungleichheit es gibt, wird uns nun deutlicher und bleibt gleichzeitig für uns unsichtbar und abstrakt.

Gute soziale Ideen und zivilgesellschaftliches Engagement stehen in diesen Zeiten vor ganz besonderen Herausforderungen. Zwar wurden mit Corona auch viele neue Hilfsangebote,
z. B. Einkaufshilfen in der direkten Nachbarschaft, geboren – doch schon bestehende Angebote stehen gleich mehrfach unter Druck. Sie müssen weiterhin ihre Zielgruppen erreichen, Ehrenamtlichen und Mitarbeitenden ein sicheres Umfeld bieten und eventuell sogar um ihre Finanzierung bangen.

Umfrage: Was sind die größten aktuellen Herausforderungen?

Wie können wir soziale Ideen jetzt am besten unterstützen? Dazu haben wir, die Stiftung Bürgermut, gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung eine anonyme, nicht repräsentative Umfrage durchgeführt. Wir wollten von zivilgesellschaftlichen Akeur:innen wissen: Wie geht es euch in dieser Situation? Was treibt euch um? Uns haben knapp 50 Momentaufnahmen erreicht, von großen sowie kleinen Organisationen aus dem ganzen Bundesgebiet.

Die Erkenntnis: Viele Organisationen versuchen ihren Herausforderungen (sei es beim Erreichen der Zielgruppe oder bei der Umsetzung der Corona-Richtlinien) bereits mithilfe von Digitalisierung zu begegnen. Und trotzdem fehlen genau hier noch viele Kompetenzen und auch Austausch. Auf die Frage nach notwendiger Unterstützung für die kommenden Monate antwortet gut ein Drittel der Befragten: Wissensvermittlung bzw. Ideenaustausch zur Nutzung digitaler Angebote. Außerdem: Austauschmöglichkeiten auf lokaler und überregionaler Ebene und lokale Kooperationen.

Credit: Stiftung Bürgermut

Digitaler LeanCoffee über die Herausforderungen der Zukunft

Gerne hätten wir diese Ergebnisse auf einem unserer kommenden openTransfer CAMPs gemeinsam diskutiert, mit einem dampfenden Kaffee in der Hand und in einer schönen Location sitzend. Stattdessen haben wir zu einem virtuellen LeanCoffee eingeladen.

Dort wollten wir mit einer kleinen Gruppe Interessierter darüber diskutieren, welche Schlüsse aus den Umfrageergebnissen gezogen werden können und wie wir uns den Herausforderungen der Zukunft denn nun am besten stellen.

Das Schöne an einem LeanCoffee ist, dass man so viele unterschiedliche Themen in kurzer Zeit diskutieren kann. Jede:r bringt in einem gemeinsamen Brainstorming Themen ein, danach wird gemeinsam priorisiert, und anschließend werden die Diskussionsfragen in jeweils kompakten zehn Minuten besprochen. Zehn Minuten klingt wenig, reicht aber häufig aus. Die Teilnehmenden brachten ganz unterschiedliche Impulse mit: vom Umgang mit neuen gesellschaftlichen Spaltungen, bis hin zu guten Begegnungsformaten im digitalen Raum und der Frage danach, wie lokale und regionale Vernetzung momentan und in Zukunft gestaltet sein müsste.

In jeder Krise steckt auch eine Chance

Was mich dabei hoffnungsvoll gestimmt hat: Bei allen Herausforderungen für die Zukunft sprachen die Diskussionsteilnehmenden auch immer wieder über Chancen. Man kann es als Chance betrachten, dass gesellschaftliche Spaltungen, die durch Corona offensichtlich werden, im Kern immer existiert haben und jetzt so offensichtlich zutage treten, dass endlich gehandelt werden muss. Und man kann es auch als Chance betrachten, dass wir nun digital mit Menschen ins Gespräch kommen können, denen wir im analogen Raum niemals begegnet wären.

Und bis dahin? Wir vernetzen uns im digitalen Raum

Wie gehen wir diese Chancen am besten gemeinsam an? Bei der Stiftung Bürgermut haben wir uns in den letzten Wochen viele neue Formate überlegt und so einiges digitalisiert. Wir haben nicht nur die Angebote unserer Akademie ausgebaut, sondern auch neue Austauschformate geschaffen: Zum Beispiel haben wir als Alternative zu unserem openTransfer CAMP #Zusammenhalt, zu dem wir gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung, der Körber-Stiftung und der Robert Bosch Stiftung am 24. April nach Kassel einladen wollten, am selben Tag ein digitales openTransfer CAMP organisiert. Über 250 Teilnehmende kamen zusammen und tauschten sich in 18 Sessions, sechs Pausenräumen und auf einem Slack-Kanal aus über die Digitalisierung, über Corona und über das Mittagessen. Auch unser Skalierungsstipendium openTransfer Accelerator und openTransfer #Patenschaften führen nun digitale Meet-ups durch, in denen sich Ehrenamtliche, Koordinator:innen und Mitarbeitende sozialer Projekte gegenseitig beraten und Wissen weitergeben.

Außerdem hat die Stiftung Bürgermut nun eine Netzwerk-Schnittstelle, eine sogenannte API, die in drei Wirkungsfeldern nach positivem Veränderungspotential Ausschau hält und Interessierte zusammenbringt.

Was die Zukunft bringt? Ein „New Normal“

Zum Schluss der Umfrage baten wir die Teilnehmenden um eine Einschätzung, was die Zukunft bringt: Kehren wir zur alten Normalität zurück oder entsteht ein „New Normal“? Auf einer Skala von 1 (alte Normalität) bis 5 („New Normal“) votierten die Teilnehmenden mehrheitlich für eine 4. In der Zukunft wird, so die Vermutung, also vieles neu – wenn auch nicht alles.

Credit: Stiftung Bürgermut

Die Einschätzung drückt nicht zuletzt einen Wunsch aus: Nicht zum alten Arbeitsmodus zurückzukehren, sondern weiter an neuen Formaten und Tools zu arbeiten, Dinge auf den Prüfstand zu stellen, einen souveränen Umgang mit Veränderung einzuüben und immer besser darauf vorbereitet zu sein, was uns noch erwartet.