Die Deutschen allein zu Haus
Wie einsam sind wir während der Pandemie wirklich?
Der Ausbruch der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus haben das tägliche Leben der Menschen weltweit stark verändert. Seit Anfang März 2020 werden auch in Deutschland regelmäßig Maßnahmen zur Eindämmung des Virus umgesetzt, darunter vor allem Quarantäne-Verordnungen, Abstandsregeln sowie die Aufforderung, möglichst im Homeoffice zu arbeiten. Aus virologischer Sicht sind diese Maßnahmen zweifelsfrei angebracht. Gleichwohl wird stets die Sorge geäußert, dass die Maßnahmen deutliche psycho-soziale Konsequenzen mit sich bringen. Insbesondere ein Anstieg von Einsamkeit und sozialer Isolation wurde in diesem Zusammenhang immer wieder genannt und befürchtet.
Ob sich diese Sorge bewahrheitet, erforschen wir in der Bochum-Berlin-Covid-19 Studie unter der Leitung meiner Kollegin Dr. Susanne Bücker von der Ruhr-Universität Bochum. Seit Beginn der ersten Anti-Corona-Maßnahmen („Lockdown“) am 16.03.2020 untersuchen wir unter anderem, wie sich die Einsamkeit von Personen in Deutschland verändert und welche Persönlichkeitseigenschaften mit einer Zu- oder Abnahme von Einsamkeit zusammenhängen. Erste Erkenntnisse zur Entwicklung von Einsamkeit innerhalb der ersten vier Wochen des „Lockdowns“ haben wir im November letzten Jahres im Journal Social Science & Medicine veröffentlicht.
Zentrale Forschungsfragen
In unserer kürzlich veröffentlichten Studie sind wir den folgenden Fragen nachgegangen:
(1) Wie ist hoch ist die Einsamkeit in Deutschland und welche Eigenschaften von Personen sagen die durchschnittliche tägliche Einsamkeit vorher?
(2) Wie veränderte sich die tägliche Einsamkeit über den Studienzeitraum von Mitte März bis Mitte April 2020 und wie lassen sich diese Veränderungen erklären?
Insgesamt haben hierfür 4.850 Personen im Alter von 18 bis 88 Jahren teilgenommen. 77.59% der Teilnehmer:innen waren Frauen, 38.06% arbeiteten in Vollzeit und 24.12% waren Studierende. Teilgenommen haben Personen aus ganz Deutschland, wobei Teilnehmer:innen aus Nordrhein-Westfalen mit 37.30% am häufigsten vertreten waren.
Durchschnittliche tägliche Einsamkeit betrifft Jüngere zu Beginn der Pandemie stärker
Welche Personen haben im Studienzeitraum täglich eher angegeben, sich einsam zu fühlen? In unserer Studie konnten wir zeigen, dass es unterschiedliche Personeneigenschaften gibt, die die durchschnittliche tägliche Einsamkeit im Studienzeitraum vorhersagen. Beim Vergleich von älteren und jüngeren Personen fiel auf, dass ältere Personen, entgegen der allgemeinen Erwartung, eine geringere Einsamkeit berichteten als jüngere Personen. Diese Beobachtung deckt sich auch mit einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zum Thema des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Zudem berichteten Alleinstehende oder Verwitwete im Durchschnitt mehr Einsamkeit als die Personen in einer festen Partnerschaft. Menschen, die sich selbst einer Risikogruppe zuordnen, berichteten darüber hinaus höhere durchschnittliche Einsamkeit im Vergleich zu denen, die sich einer solchen Gruppe nicht zuordnen. Interessant ist vor allem, dass die durchschnittliche tägliche Einsamkeit nicht damit zusammenhängt, ob eine Person allein wohnt oder nicht.
Veränderung von Einsamkeit während des Studienzeitraums
Im Zeitraum unserer Studie von Mitte März bis Mitte April konnten wir zeigen, dass Einsamkeit innerhalb der ersten zwei Wochen zunächst anstieg und anschließend wieder etwas abnahm, wobei es hier große Unterschiede zwischen den Teilnehmer:innen gab: Einige Personen berichteten über eine stärkere Veränderung der Einsamkeit, während diese für andere eher unverändert blieb.
Bei welchen Personen oder Personengruppen nimmt die tägliche Einsamkeit eher zu, bei welchen nimmt sie eher ab? Die unterschiedlichen Veränderungen zwischen Personen lassen sich ebenfalls in Teilen durch deren Eigenschaften erklären. In unserer Studie konnten wir unter anderem zeigen, dass Einsamkeit zwar bei jüngeren Personen insgesamt etwas höher ausgeprägt war, dafür über den Studienzeitraum jedoch eher abnahm. Bei älteren Menschen nahm die berichtete Einsamkeit hingegen eher zu.
Eltern sollten allerdings in Zukunft besonders im Blick gehalten werden
Diese Studienergebnisse zeigen, dass Einsamkeit innerhalb der ersten vier Wochen des „Lockdowns“ zwar zu Beginn leicht angestiegen, anschließend aber wieder gesunken ist. Insgesamt ist also kaum eine Veränderung zu beobachten. Gleichzeitig gibt es Personen und Personengruppen (z. B. Eltern oder ältere Personen), deren Einsamkeit während des Studienzeitraumes insgesamt zugenommen hat. So kann es sinnvoll sein, zum Beispiel Eltern eine möglichst schnelle Rückkehr zur Normalität in der Kinderbetreuung zu ermöglichen.
Die in der Studie ausgewertete Stichprobe ist vergleichsweise groß. Einschränkend muss dennoch hinzugefügt werden, dass sie nicht als repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung angesehen werden kann. Gerade für Personen, die nicht an einer Online-Studie teilnehmen und vielleicht weniger „Internetaffin“ sind, stehen gewisse Wege zur Kommunikation (Skype, Videotelefonie) möglicherweise nicht zur Verfügung. Diese Personen könnten daher ein anderes Einsamkeitserleben haben als jene, die an unserer Studie teilgenommen haben. Zukünftige Studien sollten diese Personen nach Möglichkeit nicht übersehen. Zudem ist festzuhalten, dass, nur weil unsere Studie bei den Teilnehmenden keinen starken Anstieg an Einsamkeit verzeichnet hat, dieser nicht bei einzelnen Personen oder Personengruppen durchaus vorkommen kann.
Unsere Studie beleuchtet zudem nur den ersten „Lockdown“ Anfang 2020. Vermutlich hat kaum jemand Anfang 2020 ahnen können, wie lange die Pandemie das tägliche Leben in Deutschland einschränken würde. Gleichzeitig gab es im Sommer 2020 auch Phasen geringerer Einschränkung. Die Entwicklung von Impfstoffen und das Voranschreiten der Impfung zeigen zudem einen Ausweg aus der aktuellen Lage auf, der für viele schon greifbar wird. Die vergangenen Monate sind daher insbesondere in Bezug auf die erlebte Einsamkeit noch einmal besonders. Die hier berichteten Ergebnisse zeigen also nur einen Ausschnitt über die Entwicklung von Einsamkeit innerhalb der ersten vier Wochen der Pandemie in Deutschland. Mittlerweile kann sich das Einsamkeitserleben deutlich geändert haben. Dies zu untersuchen wird die Aufgabe weiterer Studien sein.
Psycho-soziale Konsequenzen der Anti-Corona-Maßnahmen verlieren nicht an Relevanz: Studienteilnahme weiterhin möglich
Die Studie ist weiterhin aktiv und wir freuen uns daher über neue Teilnehmer:innen! Die Fragen werden stets aktualisiert und auf das aktuelle Geschehen in Deutschland angepasst. Wir erhoffen uns ein umfassendes Bild davon, wie Personen in Deutschland die Pandemie und die Maßnahmen zur Eindämmung erlebt haben. Es ist wichtig, die psycho-sozialen Konsequenzen der Anti-Corona-Maßnahmen nicht aus den Augen zu verlieren und zu gegebener Zeit Interventionen gegen Einsamkeit und andere negative Konsequenzen zu entwickeln, zu testen, und schlussendlich zu implementieren.
Ablauf der Studie
Um zu erforschen, wie sich die Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen auf auswirken, führen wir seit März 2020 eine Tagebuchstudie durch. Zunächst beantworten sie einen ausführlichen Fragebogen zu ihrer Lebens- und Wohnsituation, verschiedenen demographischen Variablen und ihren Persönlichkeitseigenschaften. An den darauffolgenden drei Abenden werden die Teilnehmer:innen zu ihrem Erleben und ihrer Einsamkeit am jeweiligen Tag befragt. Nach den täglichen Verlaufserhebungen folgt eine Pause von vier Tagen, an die ein Wochenrückblick anschließt. Daraufhin beginnen die täglichen Befragungen erneut. Teilnehmer:innen können so lange an der Studie teilnehmen, wie sie möchten und einzelne Befragungen jederzeit überspringen.
Studienablauf, Quelle: CC-BY 4.0 Buecker/Horstmann, https://covid-19-psych.formr.org
Als Dank für ihre Unterstützung der Bochum-Berlin-Covid-19-Studie erhalten alle Teilnehmenden eine detaillierte Auswertung ihrer Daten.
Eine Teilnahme an der Studie ist unter folgendem Link möglich:
https://covid-19-psych.formr.org
Zur Studie:
Buecker, S., Horstmann, K. T., Krasko, J., Kritzler, S., Terwiel, S., Kaiser, T., & Luhmann, M. (2020). Changes in daily loneliness for German residents during the first four weeks of the COVID-19 pandemic. Social Science & Medicine, 265, 113541.
https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2020.113541