Jugendalltag in der Corona-Pandemie: „Ich habe mich noch nie so ohnmächtig gefühlt.“
Corona hat das Leben junger Menschen vollkommen auf den Kopf gestellt. Schule, Studium und Ausbildung laufen vielfach weiter online. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene müssen sich selbst strukturieren, organisieren und motivieren. Immer wieder streikt die Technik. Der Tagesrhythmus ist nicht mehr da. Und ganz viel von dem, was Jugend und das Leben in diesem Alter ausmacht, ist weggebrochen: mit Freunden Spaß haben, feiern, sich ausprobieren, ausziehen, reisen, sich austoben, Pläne schmieden – das alles ist seit über einem Jahr kaum mehr möglich.
In den Online-Befragungen „Jugend und Corona“ (JuCo), die Forscher:innen der Universitäten Hildesheim und Frankfurt am Main im April und November 2020 durchgeführt haben, wurden junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren gefragt, wie es ihnen geht und was die Corona-Krise mit ihnen macht. Insgesamt 12.500 Jugendliche haben die Fragebögen ausgefüllt. Ihr durchschnittliches Alter lag bei 19 Jahren. Zudem haben sie rund 2.000 Kommentare abgegeben, in denen sie ihre eigene Sicht auf die Zeit zum Ausdruck bringen – einige davon finden sich hier als Zitate.
„Ich habe das Gefühl, seit der Pandemie psychisch instabiler geworden zu sein.“
Mehr als 60 % der Befragten geben an, dass sie sich einsam fühlen und psychisch belastet sind. Mehr als zwei Drittel haben Angst um ihre Zukunft. Die Jugendphase ist von Übergängen geprägt – von der Schule ins Praktikum, Ausland, Ausbildung, Studium usw. Aufgrund der Corona-Krise sind solche Übergänge aber kaum planbar und manches ist schlicht nicht möglich. Das bedeutet, dass Träume zerplatzen und die Angst um die eigene Zukunft wächst.
Wenn junge Menschen zudem Sorgen um ihre finanzielle Situation haben, sind sie nochmal stärker belastet. Das betrifft immerhin ein Drittel der Befragten – vor Corona waren es 25 %. In einer beengten Wohnung, mit schlechtem Internet, fehlendem oder veraltetem Laptop ist die Krise schwerer zu ertragen. „Orte zum Abhängen“ mit Freund:innen fehlen noch mehr. Einsamkeit, Ängste und das Gefühl ohnmächtig zu sein, nehmen zu.
„Jugendliche werden nicht angehört und falsch porträtiert.“
Wenn junge Menschen im öffentlichen Diskurs vorkommen, dann viel zu oft als Regelbrecher:innen, die „Corona-Partys“ feiern. Dabei halten sich die allermeisten von ihnen an die Regeln und unterstützen sie. Ihr solidarisches Verhalten der älteren Generation gegenüber wird aber kaum gesehen bzw. wertgeschätzt.
Auch von der Politik fühlen sich junge Menschen im Stich gelassen. In der Befragung im November haben 65 % der Jugendlichen angegeben, dass ihre Sorgen von der Politik nicht gehört werden – im April waren es noch weniger als die Hälfte. Nur rund 8 % finden, dass ihre Sorgen gehört werden.
Obwohl es immer öfter von Seiten der Politik hieß, dass Kinder und Jugendliche an erster Stelle stehen sollen, ist das bei ihnen offensichtlich nicht so angekommen. Denn in politischen Diskursen werden sie fast ausschließlich auf ihre Rolle als Schüler:innen bzw. Lernende reduziert, die in erster Linie funktionieren sollen. Nach ihren Sorgen, ihren Ideen, wie Schule in der Pandemie gelingen könnte und ihren Bedarfen werden sie nicht gefragt. Vielmehr wird schnell von einer „Generation Corona“ gesprochen – ein weiterer Stereotype.
„Wir werden nie gefragt, ob bzw. was für Lösungsideen wir haben oder was wir für das Beste halten oder was wir uns wünschen.“
Junge Menschen sind Teil unserer Gesellschaft, sie sind unsere Zukunft und es geht um ihre Zukunft. Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, alles dafür zu tun, dass es keine „Generation Corona“ geben wird. Junge Menschen haben das Recht gehört zu werden. Es ist wichtig, ihre Sorgen – genau wie die anderer Bevölkerungsgruppen – ernst zu nehmen. Sie wollen nicht bevormundet und übergangen werden. Sie haben eigene Ideen, die sie einbringen wollen.
Jugendliche müssen daher schnellstmöglich und auf allen Ebenen – d. h. in der Schule, in der Kommune, an der Uni und in der Bundes- und Landespolitik – gefragt werden, was sie brauchen, um besser durch die Krise zu kommen. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die echte und nachhaltige Beteiligung von jungen Menschen sichern – in guten, aber auch in Krisenzeiten. Daher schlagen wir der Politik z. B. auch eine regelmäßige, repräsentative und systematische Befragung von jungen Menschen vor.
„Unfair, unfairer, Corona.“
Darüber hinaus hat die Corona-Krise einmal mehr gezeigt, dass wir benachteiligte junge Menschen besser unterstützen und in den Blick nehmen müssen. Kinderarmut und Bildungsungleichheit sind strukturelle Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft schon lange stehen – nicht erst seit Corona. Sie müssen jetzt endlich angegangen werden, damit die Folgen der Pandemie nicht zu noch mehr Ungerechtigkeit führen.
Konzepte gegen Armut wie eine Kindergrundsicherung, z. B. in Form des von uns vorgeschlagenen Teilhabegelds, liegen auf dem Tisch. Sie sollten diskutiert und zeitnah umgesetzt werden. Auch Reformvorschläge zum Um- und Ausbau des Bildungssystems von der Kita über die Schulen bis hin zum Ausbildungssystem und dem Studium sind vorhanden. Sie müssen dringend angegangen werden.
Darüber hinaus sind jetzt kurzfristig schnelle und kreative Lösungen gefragt, damit ganz konkrete Nachteile durch Corona aufgefangen werden. Und dabei geht es nicht nur um verpassten Schulstoff, sondern vor allem um Möglichkeiten wieder unbeschwert Freizeit zu verbringen, Sorgen, Ängste und Belastungen zu bewältigen und wieder träumen und planen zu lernen. Notwendig sind hier Investitionen in die Kinder- und Jugendhilfe und ein breites Netzwerk, dass auch die Zivilgesellschaft einbindet.
„Corona hat meinen Blick für die Welt geöffnet.“
Die Corona-Pandemie ist eine riesige Belastung für die Gesellschaft insgesamt. Sie kann aber tatsächlich auch den Blick für die Welt öffnen, wie es ein junger Mensch geschrieben hat. in dem sie die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen und Probleme deutlich zu Tage fördert. Die junge Generation hat dabei bereits Verantwortung übernommen und ist in Vorleistung gegangen: Sie hat ihre Solidarität allen älteren Generationen gegenüber in der Krise bereits bewiesen. Jetzt ist es an uns, auch solidarisch zu sein.
Kinder und Jugendliche müssen nun wirklich an erster Stelle stehen. Sie sind es, die die Folgen der Entscheidungen, die jetzt im Zuge der Corona-Pandemie getroffen werden, in der Zukunft wesentlich tragen müssen. Wir sollten ihnen zuhören, ihre Vorschläge aufnehmen und dafür Sorge tragen, dass sie alle die Chance auf gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe haben.
Weiterführendes zum Thema finden Sie in der Studie sowie im Policy Brief und einer Broschüre von Jugendlichen.