Was eine moderne Religionspolitik ausmacht

Das Wort Religionspolitik macht seit einigen Jahren die Runde. Ob es um Fragen des Islam geht oder den Religionsunterricht in Schulen, um Kruzifixe in Behörden oder Gott in Verfassungspräambeln, um die Kooperation mit den Kirchen oder Änderungen des Religionsverfassungsrechts – immer wieder hört man den Ruf nach mehr oder einer anderen Religionspolitik. Dabei bleibt meist unklar, was mit Religionspolitik eigentlich gemeint ist.

Die Folge sind Missverständnisse. So wird Religionspolitik häufig als eine Politik für einzelne Religionen missverstanden. Oder man hört, Religionspolitik laufe den verfassungsrechtlichen Vorgaben eines neutralen Staats zuwider. In einem säkularen Staat sei für Religionspolitik kein Platz. Auch wird argumentiert, dass Religion im Leben der meisten Menschen heute kaum noch eine Rolle spiele. Religionspolitik verfehle gewissermaßen die gesellschaftliche Wirklichkeit.

Ziele sind Religionsfreiheit und Gleichberechtigung

Solche Missverständnisse zeigen zum einen, dass die gesellschaftliche Rolle der Religion oftmals verkannt wird. Es ist kein Zufall, dass die Religionsfreiheit bis heute als ein Gradmesser für die Zivilisierung einer Gesellschaft gilt. Denn es ist eine enorme gesellschaftliche Leistung, wenn Menschen andere religiöse und weltanschauliche Wahrheiten nicht nur dulden, sondern als gleichwertig anerkennen. Nicht selten wird heute vergessen, dass die Frage der religiösen Toleranz in der Geschichte immer wieder über Krieg und Frieden entschieden hat.

Zum anderen verfehlen die Missverständnisse den entscheidenden Punkt. Es geht in einer modernen Religionspolitik nicht um die Verteilung von Privilegien an einzelne Religionen. Ihr Ziel ist vielmehr die Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung aller religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen sicherzustellen. Deshalb müssen staatskirchenrechtliche Arrangements überdacht, neue Formen der Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften erprobt und auch das Recht, keinen Glauben zu haben, angemessen berücksichtigt werden. Religionspolitik ist Politik sowohl für religiöse als auch nichtreligiöse Menschen.

Das Kooperationsmodell bietet gute Voraussetzungen

Es stimmt, dass die religionspolitischen Spielräume vom Grundgesetz sehr eng gezogen werden. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat auf religiös-weltanschauliche Neutralität. Es vermeidet aber die strikte Trennung von Staat und Religion, sondern setzt auf Zusammenarbeit. Denn nur im ständigen Miteinander ist staatliche Neutralität zu gewährleisten. Insbesondere in Zeiten der zunehmenden religiösen Pluralisierung droht ansonsten die Gefahr, dass der Staat nicht mehr den gleichen Abstand zu allen Religionen und Weltanschauungen einhalten kann.

Deshalb ist eine pluralistisch-offene Neutralität des Staats im Umgang mit religiöser Vielfalt mehr denn je nötig. Noch orientiert sich der Staat stark an der überkommenen religionspolitischen Ordnung vergangener Jahrzehnte. Damals waren mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Mitglied einer christlichen Kirche. Heute sind es nur noch 56 Prozent. Die Politik hat die religiöse Pluralisierung Deutschlands weitgehend verschlafen. Es gibt also religionspolitischen Nachholbedarf. Gerade das Kooperationsmodell des Grundgesetztes bietet gute Voraussetzungen dafür, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die religiös-weltanschauliche Vielfalt in Deutschland als positive Kraft der Zivilgesellschaft entfalten kann. Moderne Religionspolitik ist heute vor allem eines: Vielfaltspolitik.