Hass im Netz: Wie steht es um den respektvollen Umgang im Internet?

Unter dem Motto „Gemeinsam machen wir das Internet zu einem sozialen Ort“ ruft das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement zu einem Aktionsmonat für ein besseres Miteinander im Netz auf. Im November soll ein Zeichen  für „ein gutes Internet, für ein soziales Miteinander in den sozialen Medien und für die Übertragung analoger Nettigkeiten in den digitalen Raum“ gesetzt werden. Die Bertelsmann Stiftung beteiligt sich an diesem Aktionsmonat und wir nehmen das an dieser Stelle einmal zum Anlass, einen empirischen Blick auf die Diskussionen im Internet zu werfen. Wie sieht es mit dem respektvollen Umgang aus? Wie verbreitet ist Hass im Netz? Und was kann man dagegen tun?

Die Öffentlichkeit findet heute online statt

Jeder ist heute im Internet – zumindest fast jeder: Laut gerade veröffentlichten ARD/ZDF-Onlinestudie von 2021 sind 100 Prozent der unter 50-Jährigen inzwischen online und sogar bei den Personen ab 70 Jahre sind drei Viertel heute im Internet aktiv. Unter den sozialen Medien haben in Deutschland Instagram und Facebook die Nase vorn. Twitter das für seine harten Diskussionen und nicht erst seit Donald Trump für seinen politischen Einfluss bekannt ist, liegt in seiner Nutzung in Deutschland deutlich hinter den beiden anderen Plattformen. Dennoch ist klar, was in den sozialen Medien diskutiert wird, findet breite Resonanz, prägt die öffentliche Debatte und stellt für viele Menschen die entscheidende Quelle für Informationen und zur Meinungsbildung dar. Zeitungen und Radio sind inzwischen ins Hintertreffen gekommen, nur noch das Fernsehen wird häufiger genannt, wenn es darum geht, sich über das Tagesgeschehen zu informieren.

Die öffentlichen Diskussionen sind respektloser geworden

In einer eigenen aktuellen Studie haben wir die Menschen in Deutschland danach gefragt, wie sie die öffentlichen Diskussionen im Fernsehen, in Zeitungen aber auch in den sozialen Medien wahrnehmen. Das Ergebnis gibt einem zu denken: 68 Prozent haben den Eindruck, die Diskussionen seien in den letzten 12 Monaten respektloser geworden als früher. Unsere Befragung fand im November 2020 statt und der abgefragte Zeitraum betriff somit vor allem das „Corona-Jahr“ 2020.

Respektloser Umgang im Netz nimmt zu

Eine EU-weite Befragung im Auftrag von Hate-Aid und der Alfred-Landecker-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass Hass und Hetze in Europa zu einem ernsthaften Problem geworden sei. Hier gaben zwei Drittel der Befragten an, im Internet bereits einmal damit konfrontiert worden zu sein. In einer Studie der Landesanstalt für Medien NRW mit Bezug auf Deutschland geben sogar drei Viertel der Befragten  an, dass sie bereits mindestens einmal im Internet Hass erlebt haben. Fast 40 Prozent sagen, ihnen würden Hasskommentare sogar häufig begegnen. Diese Umgangsformen im Netz machen einer wachsenden Gruppe von über 40 Prozent der Befragten Angst. Bei den befragten Frauen liegt dieser Anteil sogar bei über 50 Prozent. Noch mehr Menschen macht der respektlose und hasserfüllte Umgang aber wütend: 70 Prozent der Männer und sogar 84 Prozent der Frauen geben an, deshalb wütend zu sein. Verständnis für diese Art der Diskussionskultur im Netz haben hingegen nur noch eine kleine Minderheit von gerade einmal 13 Prozent.

Wer persönlich mit Hass im Netz konfrontiert ist, leidet darunter

Stress, Angst und Unruhe, Depressionen oder auch Probleme mit dem eigenen Selbstbild nennen hier die Befragten in einer Untersuchung des IDZ . Gerade unter jüngeren Befragten und unter Frauen sind die Auswirkungen noch stärker verbreitet als im Durchschnitt der Bevölkerung. Diese Daten zeigen auch, welchen Einfluss das Klima im Internet auf die öffentliche Debatte und die Demokratie haben kann: Drei Viertel der Befragten sagen zum Beispiel, dass sie der Meinung sind, dass Hassbotschaften einschüchtern und Menschen aus dem Netz verdrängen können. Rund die Hälfte sagt, sie würden sich aus Sorge vor den Reaktionen seltener zu ihren politischen Meinungen bekennen oder sich seltener an Diskussionen beteiligen.

Diskussionskultur unterscheidet sich zwischen online und offline

Noch gibt es aber einen Unterschied zwischen der medialen Welt und dem Alltag der Menschen im Land. In unserer eigenen Studie haben wir nicht nur danach gefragt, wie die Menschen die Diskussionen und Debatten in den Medien wahrnehmen, sondern auch, wie sie dies für die Diskussionen einschätzen, die sie selbst in ihrem eigenen Umfeld erleben. Hier verkehrt sich das Bild etwas: Nun sagen 73 Prozent der Befragten, dass sie die Diskussionen über wichtige Themen in ihrem persönlichen Umfeld als genauso respektvoll erleben wie früher. Die Diskussionskultur der sozialen Medien scheint somit (noch) nicht im analogen Alltag der Menschen angekommen zu sein.

In einer weiteren Studie haben wir sogar einen leicht positiven Trend verzeichnen können: 2017 sagten 74 Prozent der Deutschen, sie hätten den Eindruck, dass die meisten Menschen sie im Alltag mit Respekt behandeln würden. 2020 lag dieser Wert mit 79 Prozent sogar etwas höher. Dies zeigt, dass die häufig kritisierten Probleme der Diskussions- und Debattenkultur bislang hauptsächlich eine Frage des medialen Diskurses sind. Dieser hat sich verschärft. Aber das einfach so hinzunehmen, dazu sind immer weniger Menschen bereit.

Bereitschaft gegen Hass im Netz vorzugehen wächst

In der oben bereits angesprochenen Studie der Landesanstalt für Medien NRW zeigt sich auch, dass immer mehr Menschen bereit sind, auf Hasskommentare im Internet zu reagieren. So geben im Vergleich zu früher mehr Befragte an, sich näher mit den Kommentaren zu befassen, entsprechende Kommentare zu melden oder auch einfach kritisch darauf zu antworten.  Meist tun sie dies, weil sie aufgrund der Aussagen in den Kommentaren entsetzt sind. Hier zeigt sich ein interessanter Trend: Gerade die jüngeren Internetnutzer geben zunehmend an, dass sie aufgrund ihres persönlichen Entsetzens motiviert sind, auf Hasskommentare zu reagieren und diese nicht zu akzeptieren. Persönliche Relevanz des Themas spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Das spricht dafür, dass es ihnen um die Art und Weise des Umgangs miteinander im Netz geht.

Fünf Forderungen, um dem Hass im Netz Herr zu werden

Zunächst sollten wir alle unser eigenes Verhalten bei Diskussionen im Netz kritisch reflektieren: Wie diskutieren wir, wie reagieren wir auf Kritik, wie formulieren wir kritische Kommentare und was können wir dazu beitragen, dass das Diskussionsklima besser wird? Außerdem gilt: Bei Hass im Netz nicht wegschauen, sondern reagieren, etwa indem wir darauf hinweisen, kritisch intervenieren, Opfer unterstützen und Täter melden. Letztlich müssen aber auch strukturelle staatliche Weichenstellungen erfolgen, die dabei helfen, einen respektvollen und demokratischen Umgang im Netz sicherzustellen. Dazu gibt es z.B.  fünf sehr konkrete Forderungen von Campact, mit denen sich die nächste Bundesregierung intensiv beschäftigen sollte. Hier werden (1) eine landesweite Opferberatungsstelle, (2) Beauftragte für Online Hate Speech auf jeder Polizeidienststelle, (3) eine zentrale Ermittlungsstelle für Hate Speech bei Staatsanwaltschaften, (4) vereinfachte Klagemöglichkeiten bei Zivilprozessen sowie (5) Präventionsprogramme an Schulen gefordert.