Chaos bei Twitter und die Notwendigkeit von Regulierung
Griechische Marktplätze sind im Augenblick in aller Munde. Selbstverständlich geht es dabei nicht um die Marktplätze, auf denen sich heutzutage in der Urlaubssaison die Touristen tummeln und Fisch kaufen. Es geht vielmehr um das verklärte Bild der antiken Agora. Dem zentralen Platz in den griechischen Stadtstaaten, auf denen die Bürger (in der Regel seltener Bürgerinnen) zusammenkamen, miteinander diskutierten, Recht sprachen und wichtige politische Entscheidungen vorbereiteten. Die Sehnsucht nach einem solchen Ort für angeregte und konstruktive Debatte ist gerade besonders groß. Vor allem auch deshalb, weil die Realität der politischen Diskussion in den sozialen Medien meist wenig gemein hat mit der – zugegeben – etwas naiven Vorstellung einer zivilisierten und aufgeklärten Debattenkultur der Antike, in der man sich mit Respekt begegnet, Argumente vorbringt und sich am Ende die beste Idee durchsetzt. Am Beispiel des aktuellen Chaos bei Twitter, lässt sich gut zeigen, warum wir bislang eine solche digitale demokratische Agora noch nicht haben.
Twitter ist nicht perfekt, aber trotzdem eines der wichtigsten Debattenmedien, das wir haben
Mit all seinen Problemen und dunklen Seiten kommt Twitter von all den unterschiedlichen sozialen Plattformen dieser Vorstellung einer Agora noch am nächsten. Hier tummeln sich neben den Superstars aus Sport, Musik, Film und Fernsehen vor allem auch Politiker:innen, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen. Es gibt lehrreiche Threads zu fast allen wichtigen politischen Themen. An kaum einem anderen Ort im Netz sind die Diskussionen führender Politiker:innen besser, weil unmittelbarer zu verfolgen. Wer wissen will, was gerade passiert oder wer welche Position vertritt, ist bei Twitter oftmals besser und vor allem schneller informiert als anderswo. Gerade deshalb schielen auch so viele Journalist:innen immer mit einem Auge darauf, was bei Twitter gerade trendet. Klar, Twitter ist auch voll mit Hasskommentaren, Desinformationen, Whataboutism und Trollen, die nur nach Aufmerksamkeit gieren. Es geht manchmal übel zu. Ein paar Minuten durch die eigene Timeline zu scrollen, kann einem schon gehörig die Stimmung vermiesen. Trotzdem: Twitter ist das erfolgreichste und wichtigste Informations- und Debattenmedium, das wir haben und es hat einen immensen Einfluss auf die Politik.
Das Chaos bei Twitter zeigt, wie wichtig Regeln für soziale Plattformen sind
Seit Ende Oktober gehört Twitter nun Elon Musk. Er hat 44 Mrd. dafür gezahlt und nicht lang gebraucht, um das Unternehmen ins Chaos zu stürzen. Offen ist bislang noch, ob dieses Chaos nun das Ende von Twitter bedeutet oder es Musk gelingt, aus dem Kurznachrichtendienst eine erfolgreiche „Everything App“ á la WeChat zu bauen. Aber, wenn Twitter eine so zentrale Rolle in der politischen Debatte spielt und einen so großen Einfluss darauf hat, wie wir über wichtige Themen diskutieren, drängt sich eine Frage auf: Ist es eine gute Idee, dass eine solche Plattform allein dem erratischen Willen einer Person ausgesetzt sein sollte? Oder etwas allgemeiner formuliert: Sollten die Orte, unsere modernen digitalen Agoras, wie Twitter, Facebook, Tiktok oder auch Linkedin, nicht besser allgemeingültigen und demokratisch fundierten Regeln folgen und als Teil der öffentlichen Kommunikationsinfrastruktur auch öffentlich kontrolliert werden?
Social Media Plattformen sind elementare Kommunikationsinfrastruktur und müssen sicher sein
Am Beispiel von Elon Musks Agieren bei Twitter lassen sich die Probleme, die wir generell aktuell mit sozialen Plattformen haben, gut aufzeigen. Fangen wir mit einem eher technischen Problem an, dass aber große Auswirkungen haben kann. Musk hat einen Großteil der Mitarbeiter:innen von Twitter gefeuert. Viele weitere Mitarbeiter:innen sind von selbst gegangen. Dadurch ist die technische Integrität der Plattform gefährdet. Sicherheitslücken können sich auftun, einzelne Dienste nicht mehr funktionieren. Private Daten der Nutzer:innen könnten abgegriffen, Accounts gehackt oder Posts manipuliert werden. Twitter ist ein wesentlicher Bestandteil unserer relevanten Kommunikationsinfrastruktur. Die Sicherheit seiner Nutzer:innen sollte selbstverständlich sein. Auf keinen Fall sollte es möglich sein, fahrlässig und ohne triftigen Grund, wie im aktuellen Fall bei Twitter, die Sicherheit der Plattform aufs Spiel zu setzen.
Authentizität lässt sich nicht kaufen. Warum Verifikation so kritisch ist
Viel diskutiert wurde über das Thema Verifikation. Die Frage, ob ein Account auf einer sozialen Plattform authentisch ist und tatsächlich die Person dahintersteckt, die draufsteht, ist von großer Relevanz. Gefälschte Accounts können Desinformationen verbreiten oder Misstrauen gegenüber einzelnen Personen oder Institutionen fördern. Twitters System der Verifikation mit dem blauen Haken war nicht perfekt. Aber man konnte sich einigermaßen sicher sein, dass ein verifizierter Account tatsächlich authentisch ist. Mit der zeitweisen Umstellung der Verifikation auf eine kostenpflichtige Version (Twitter Blue), kollabierte das System. Massenweise gefälschte Accounts traten auf und Hassrede sowie gezielte Angriffe von rechts außen nahmen zu, sodass Twitter vorerst zurückrudern musste. Offen bleibt, wie künftig die Authentizität überprüft werden soll. Beschlossen scheint aber zu sein, dass Twitter Blue zurückkehren wird.
Sichtbarkeit und Reichweite dürfen nicht zum Spielball werden
Damit verknüpft ist auch die Frage, wie in Zukunft Reichweite auf Twitter generiert wird. Bislang ist es so, dass man mit gesponsorten Tweets mehr Sichtbarkeit erhielt. Diese sind klar als Werbung erkennbar. Jetzt ist angedacht, dass die Accounts, die sich künftig kostenpflichtig verifizieren lassen, auch bei der Sichtbarkeit ihrer Inhalte bevorzugt werden sollen. Somit würde von nun an auf Twitter eine Zweiklassenkommunikation herrschen: Wer bezahlt, erhält Reichweite. Hinzu kommt, dass in Zukunft bei Fehlverhalten in der Regel auf Accountsperren verzichtet werden soll. Stattdessen soll Twitter unter Musk künftig auf die Einschränkung der Reichweite setzen, um Nutzer:innen zu sanktionieren. Am Ende entscheidet also Twitter, welche Tweets wie häufig gesehen würden.
Wer entscheidet darüber, ob Accounts gesperrt oder in ihrer Reichweite eingeschränkt werden?
Spektakulär war auch die Rückkehr Donald Trumps auf Twitter. Der ehemalige US-Präsident war seit Anfang 2021 gesperrt. Elon Musk startete eine Umfrage auf seinem Twitteraccount und nachdem eine knappe Mehrheit für die Rückkehr Trumps votierte, wurde kurz darauf sein Account wieder freigeschaltet. Man könnte nun argumentieren, hier wäre gelebte Demokratie am Werk, aber am Ende ist es doch nur die Willkür des Twittereigentümers, die sich Bahn bricht. Noch sorgen Werbekunden aus Angst vor einem zu negativem Umfeld für ihren Auftritt dafür, dass es nicht allzu wild zugeht. Dennoch will Musk in Zukunft lieber auf das Sperren von Accounts verzichten und setzt daher auf die schon erwähnte Einschränkung der Reichweite. Nur in Fällen, in denen Nutzer:innen gegen Gesetze verstoßen würden, wäre seiner Meinung nach eine Sperre angemessen. Bei einem globalen Netzwerk stellt sich dann jedoch die Frage, welche Gesetze gebrochen werden müssen, um eine Sperre zu erwirken? Bleibt etwa ein:e deutsche.r Nutzer:in online, wenn sie ein Hakenkreuz postet, weil es in den USA nicht verboten ist oder fliegt sie von der Plattform, weil sie gegen deutsches Recht verstoßen hat?
Der Digital Service Act ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung
Die Europäische Union hat jüngst ein paar bemerkenswerte Weichenstellungen vorgenommen. Mit dem Digital Service Act (DSA) kommt nun eine Regulierung sozialer Plattformen, die viele der Punkte anspricht, die jetzt im Zusammenhang mit den Chaostagen bei Twitter offen zu Tage treten. Ob die Umsetzung des DSA am Ende in der nationalstaatlichen Praxis gelingt, wird sich zeigen. Deutlich wird aber jetzt schon, wie dringend klare Regeln und ihre konsequente Durchsetzung nötig sind. Die sozialen Medien sind im Augenblick der Ort, an dem die politischen Debatten und Auseinandersetzungen stattfinden. Es ist verantwortungslos, wenn wir diese digitalen Marktplätze komplett der Willkür einzelner Personen, Unternehmen oder gar Staaten überlassen. Elon Musk liefert mit Twitter gerade das vielleicht spektakulärste Schauspiel, die Ausgangssituation bei den anderen Plattformen ist aber kaum besser. Mark Zuckerberg hat enorme Entscheidungsbefugnisse bei Meta und kann damit die Ausgestaltung von Facebook, Instagram und WhatsApp festlegen. Bei TikTok hat der chinesische Staat die Finger tief im System und kann die Regeln der App so gestalten, wie es ihm passt. . Der vermeintliche Heilsbringer Mastodon ist zwar vielfältiger und durch die zahlreichen unterschiedlichen Server haben die Nutzer:innen mehr Wahlmöglichkeiten. Gleichwohl haben auch hier die Betreiber der Server die alleinige Kontrolle. Außerdem ist noch unklar, ob die zahlreichen Idealist:innen, die den Dienst betreiben einen größeren Ansturm von Nutzer:innen langfristig überhaupt bewältigen können.
Der Fall Twitter macht die Probleme deutlich, die jetzt dringend gelöst werden müssen
Die Demokratie steht vor großen Herausforderungen. Mehr denn je braucht sie die Orte, an denen sich die Menschen austauschen können, miteinander diskutieren und zu gemeinsamen Lösungen kommen. Die sozialen Plattformen bergen das Potential hierfür, auch wenn sie in der Realität bislang zu häufig daran scheitern dieses Potential zu nutzen. Am Beispiel der Übernahme Twitters durch Elon Musk erkennen wir, wo die Probleme liegen. Es wird Zeit, dass wir sie lösen.