Zusammenhalt vor Ort gestalten – durch Dialog und Engagement
Wie können wir Menschen dafür begeistern, sich nachhaltig für den Zusammenhalt zu engagieren und das Miteinander in ihrer Stadt gemeinsam lebenswerter zu gestalten? Darum ging es in unserem Projekt „Stendal besser machen“, das wir von Juni 2020 bis Januar 2021 mit der Körber-Stiftung und der Freiwilligen-Agentur Altmark durchgeführt haben. Das Projekt ist Teil der bundesweiten Initiative „Meine Stadt besser machen“, die Sven Tetzlaff in seinem Beitrag „Deliberation vor Ort stärken“ in diesem Blog bereits vorgestellt hat. Daher an dieser Stelle nur so viel: Es geht darum, durch aufsuchende Beteiligung Menschen dazu zu ermutigen, sich in Fragen der Zukunftsgestaltung dort einzubringen, wo sie leben, und so Demokratie und Zusammenhalt vor Ort zu stärken. In Stendal haben wir Bürger:innen in den Austausch gebracht über ihre Wünsche, Vorstellungen und Ideen für ein besseres Miteinander in ihrer Stadt, und sie dabei unterstützt, Projekte zu entwickeln, um ihre Vorstellungen ein Stück weit in die Realität umzusetzen. Wegen Corona haben wir den Beteiligungsprozess digital durchgeführt. In diesem Beitrag gehe ich auf die Herausforderungen ein, die uns dabei begegnet sind und auf die Aspekte, die meines Erachtens dazu beitragen haben, dass uns die Verlagerung ins Digitale gelungen ist. Hiermit möchte ich allen, die ähnliche Prozesse gestalten wollen, Anregungen geben, und auch dazu ermutigen, neue Wege zu gehen, wenn die Umstände es erfordern.
Ein DigitalLabor als Ideenschmiede und Projekt-Werkstatt
Auf verschiedene Weise konnten sich die Bürger:innen der Hansestadt bei „Stendal besser machen“ einbringen. Auf der Online-Plattform www.stendalbessermachen.de konnten sie ihre Vorschläge für ein besseres Miteinander eintragen, gegenseitig kommentieren und bewerten. Gefragt waren Verbesserungsvorschläge zu den unterschiedlichsten Themenbereichen: von Teilhabe und Soziales, Bildung, Wohnen, über Kultur und Freizeit, Wirtschaft und Arbeit bis hin zu Nachhaltigkeit und Mobilität. In vier digitalen Nachbarschaftsgesprächen konnten die Stendaler:innen zudem in den persönlichen Austausch kommen und gemeinsam Ideen für ein besseres Zusammenleben in ihrer Stadt entwickeln und diskutieren. An diesen Ideen haben die Bürger:innen anschließend in einer digitalen Praxiswerkstatt weitergearbeitet und daraus konkrete Projekte entwickelt. Insgesamt 80 Bürger:innen haben an den Nachbarschaftsgesprächen und 35 Bürger:innen an der Praxiswerkstatt teilgenommen. Der jüngste Teilnehmende war 16, die älteste 82. Auf der Online-Plattform sind 119 Ideen zusammengekommen. In der Praxiswerkstatt haben engagierte Bürger:innen ihre Ideen zu sechs konkreten Projekten weiterentwickelt: die autofreie Altstadt, ein generationsübergreifendes Spiele-Café, die kreative Gestaltung leerer Schaufenster, Gesangsprojekte für Kinder, eine Wertekultur für Stendal und Solarbänke als Begegnungsorte. In einer digitalen Abschlussveranstaltung stellten sie ihre Projekte der Lokalpolitik und interessierten Öffentlichkeit vor, vernetzten sich mit weiteren Unterstützenden der lokalen Zivilgesellschaft und Wirtschaft und gewannen weitere Mitstreiter:innen. Seit Januar setzen die Engagierten die Projekte vor Ort um, begleitet und unterstützt durch die Freiwilligen-Agentur Altmark.
Herausforderungen und Gelingensfaktoren für die digitale Beteiligung
Am Anfang waren wir skeptisch, ob es gelingen würde, das Projekt digital durchzuführen. Denn die persönliche Begegnung und die aufsuchende Beteiligung vor Ort gehören zum Kern von „Meine Stadt besser machen“. Ursprünglich hatten wir Kneipengespräche und Brunch-Termine in den Stadt- und Ortsteilen geplant. Rückblickend kann ich sagen: Es war herausfordernd, hat aber gut funktioniert. Die größte Herausforderung bestand darin, genügend Bürger:innen für die Teilnahme zu gewinnen. Für viele waren Treffen im Digitalen neu und ungewohnt, mit technischen Hürden verbunden und mit der Sorge, dass durch die räumliche Distanz persönlicher Austausch auf der Strecke bleiben würde. Um diese Bedenken im Vorfeld zu zerstreuen und auch die „digital nicht so Affinen“ mitzunehmen, war viel Kommunikation notwendig. Vor allem die persönliche Ansprache durch die Freiwilligen-Agentur Altmark war hier der Schlüssel zum Erfolg. Für die Teilnehmergewinnung braucht es einen lokalen Partner, der vor Ort gut vernetzt und etabliert ist und genügend personelle Ressourcen sowie Kompetenzen für diese Aufgabe mitbringt. Die zweite große Herausforderung und zugleich der zweite entscheidende Erfolgsfaktor war die Gestaltung der digitalen Gesprächsformate. Hier haben wir vom Team der Bertelsmann Stiftung viel Arbeit reingesteckt – sowohl in die Konzeption als auch in die Umsetzung. Das wurde belohnt: Das Feedback der Teilnehmenden war sehr positiv und die Teilnehmendenzahlen wuchsen langsam, aber stetig. Ausschlaggebend waren hierfür mehrere Faktoren.
Gestaltung der Online-Formate
Erstens haben wir die Formate technisch niedrigschwellig gestaltet. Die Teilnehmenden mussten sich nur über einen Zoom-Link einwählen. Alles Weitere – wie etwa die Dokumentation von Ideen, die Einteilung in Breakout-Gruppen, Umfragen über Mentimeter – hat das Moderatorenteam übernommen. Dieses bestand aus einer technischen, einer Chat- und einer Gesamt-Moderation sowie aus 6 ehrenamtlichen Kleingruppen-Moderator:innen aus Stendal, die wir vorher geschult haben. Die Moderation war ein zweiter Erfolgsfaktor: Es braucht für solche Formate eine professionelle, wertschätzende, lebendige und den Menschen zugewandte Gesamtmoderation, um auch im digitalen Raum Nähe herzustellen, Interaktion zu fördern und Orientierung zu geben. Auch die Einbindung engagierter Stendaler:innen für die Moderation der Kleingruppen war hilfreich. Ein dritter Aspekt für den Erfolg der Formate: Sie waren sehr interaktiv und abwechslungsreich gestaltet. Beide Formate waren in mehrere Einheiten aufgeteilt, in denen die Teilnehmenden abwechselnd alle zusammen oder in kleinen Gruppen miteinander ins Gespräch kamen. Dabei haben wir unterschiedliche Methoden eingesetzt und Auflockerungen eingebaut, die zielgruppengerecht und zielführend waren. Hieran schließt sich der vierte Erfolgsfaktor an: Die Formate folgten einer „Dramaturgie“, in der alle Einheiten aufeinander aufbauten und der gesamte Prozess ergebnisorientiert gestaltet war. So tauschten sich die Teilnehmenden in den Nachbarschaftsgesprächen zunächst darüber aus, was ihnen für das Zusammenleben in ihrer Stadt wichtig ist. Davon ausgehend hielten sie fest, wie ihr „perfektes“ Stendal konkret aussehen würde. Die Vorstellungen reichten von einer belebten, autofreien Innenstadt mit kulturellen Angeboten, Gemeinschaftsplätzen für Austausch und Begegnung, generationsübergreifenden Treffpunkten bis hin zum Wunsch nach einem offenen, respektvollen Miteinander und einer hilfsbereiten Nachbarschaft. Diese Vorstellungen dienten als Orientierung und Motivation: Auf ihrer Basis entwickelten die Teilnehmenden Ideen, um ihrem „perfekten“ Stendal ein Stück näherzukommen. Dann einigten sie sich auf die aus ihrer Sicht vielversprechendsten Ideen, um an diesen gemeinsam weiterzuarbeiten. Diese konkretisierten sie schließlich anhand von Steckbriefen. In der Praxiswerkstatt ging es dann um die konkrete Projektarbeit auf Basis dieser Steckbriefe. Auch hier haben wir den Prozess interaktiv und ergebnisorientiert gestaltet, so dass am Ende ein Projektplan für die Umsetzung der oben genannten sechs Projekte erarbeitet war. Wer mehr über die Nachbarschaftsgespräche und die Praxiswerkstatt sowie deren konkrete Inhalte erfahren will, kann in unsere Projektdokumentation auf www.stendalbessermachen.de schauen. Wer weitere Tipps für gute digitale Dialogformate sucht, für den könnte mein Blogbeitrag “What´s Next: Zusammenhalt stärken in Zeiten von Corona” interessant sein.
Fazit
Obwohl „Stendal besser machen“ Teil von „Meine Stadt besser machen“ ist, war das Projekt in drei Aspekten etwas Besonderes innerhalb der bundesweiten Initiative: Erstens wurde es coronabedingt vollständig digital durchgeführt und dafür Online-Formate entwickelt, in denen Bürger:innen trotz räumlicher Distanz gemeinsam kreativ und produktiv werden konnten. Zweitens wurden nicht nur Ideen gesammelt, sondern einige davon zu konkreten Projekten weiterentwickelt, die jetzt auch umgesetzt werden. Hier geht es um die Nachhaltigkeit solcher Beteiligungsprozesse. Nach der digitalen Beteiligung ist vor der analogen Umsetzung. Für letztere ist die Eigeninitiative der Menschen vor Ort und die Kooperation mit lokalen Partnern wesentlich. Denn Zusammenhalt wird vor Ort gestaltet, von den Menschen, die dort leben. In den Online-Formaten haben wir viele engagierte Bürger:innen zusammengebracht. Sie haben tolle Ideen entwickelt und wollen sich weiter dafür engagieren. Die Freiwilligen-Agentur wird sie dabei unterstützen. Ein dritter Aspekt kann hierbei Treiber und Motivator sein. Auf ihn haben wir in den digitalen Dialogformaten daher bewusst den Blick gelenkt: nämlich auf das, was hinter den Ideen steckt, was sie so wertvoll macht und dazu motiviert, sie umzusetzen: die Werte, die den beteiligten Stendaler:innen wichtig sind, ihre Vorstellungen davon, was ein gelingendes Zusammenleben ausmacht. Sie geben Orientierung und Motivation, um gemeinsam ein lebenswertes Miteinander vor Ort zu gestalten.
Wer mehr über „Stendal besser machen“ wissen will, findet auf unserem Online-Portal www.stendalbessermachen.de alle Informationen und die Dokumentation des Projekts als PDF-Broschüre.