Was tun gegen Verschwörungsideologien?
Seit 2015 gibt es bei der Amadeu Antonio Stiftung das Projekt No World Order – Handlungsoptionen gegen Verschwörungstheorien. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, zu untersuchen, wie Verschwörungsideologien funktionieren, warum sie so gefährlich sind und was man gegen sie tun kann. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind die Beratungsangebote, die das Projekt zur Verfügung stellt, so gefragt wie nie zuvor. In jedem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis scheint plötzlich mindestens eine Person zu glauben, Bill Gates wolle alle „verchippen“ oder die Bundesregierung sei dabei, eine Diktatur zu etablieren. Es schien zunächst so, als seien ganz plötzlich Menschen verschwörungsgläubig geworden, die damit zuvor nichts zu tun hatten. Diese Annahme ließ sich jedoch durch Nachfragen revidieren. Alle Beratungsnehmenden des Projektes konnten erzählen, dass ihre Angehörigen zuvor bereits eine Affinität zu Esoterik, alternativen Medien oder zweifelhaften naturheilkundlichen Verfahren hatten. Der Weg ins verschwörungsideologische Milieu war also schon vor der globalen Krise bereitet. Umso schwieriger ist es – insbesondere für Angehörige – mit den sich zunehmend radikalisierenden Bezugspersonen umzugehen.
Erst fragen, dann antworten
Die Konfrontation mit Verschwörungsideologien und ihren Anhänger:innen ist in der Regel anstrengend und überfordernd. Verschwörungsgläubige tendieren dazu, sehr sendungsbewusst zu sein und vielfach entsteht beim Gegenüber der Eindruck, förmlich mit (Des)Informationen überschüttet zu werden. Solche Konflikte, insbesondere wenn es sich dabei um nahestehende Menschen handelt, lassen uns aufgelöst und ratlos zurück. Um sich innerlich zu ordnen oder idealerweise dieser Überforderung zuvor zu kommen, ist es hilfreich, sich zunächst folgende Frage zu stellen:
Was möchte und kann ich erreichen?
Vor dem Gespräch mit einer verschwörungsgläubigen Person oder auch während der Auseinandersetzung hilft es, sich zu fragen, was Sie mit diesem Austausch erreichen können und wollen. Dies kann sich sowohl auf die ganz konkrete Situation beziehen als auch auf die Beziehung zur verschwörungsgläubigen Person insgesamt bzw. den größeren Konflikt. Wichtig ist, sich diese Frage immer wieder neu zu beantworten. Ohne zu wissen, wo die Auseinandersetzung hinführen soll, besteht ein hohes Risiko, sich in ihr zu verlieren und sie letztlich frustriert zu verlassen. Selbstverständlich ist der drängende Wunsch in der Regel, das Gegenüber von der eigenen Position zu überzeugen und aus seinem Verschwörungsglauben zu befreien. Diese Haltung ist so nachvollziehbar wie kontraproduktiv – doch dazu später mehr. Je kleiner die direkten Ziele (z.B. Kommunikationsregeln, Kontaktabbruch, Grenzen) gesetzt werden, desto eher können sie erreicht und von dort aus weitergedacht werden. Letztlich bestimmt das direkte Ziel, wie man sich in der Situation verhält, welche Konflikte man angeht oder auch nicht und welche Grenzen man setzt. Zudem sorgt diese einfache Frage dafür, sich auf die eigene Position und die eigenen Wünsche zu besinnen – dieser Selbstbezug geht leider in derlei Konflikten schnell verloren.
Wie schätze ich mein Gegenüber ein?
Die Möglichkeiten, die eine Auseinandersetzung bieten kann, hängen sehr stark davon ab, wie offen mein Gegenüber für kritische Nachfragen und abweichende Meinungen ist. Ein geschlossenes Weltbild immunisiert sich gegen jede Kritik und jeden Zweifel. Hier kann weder Überzeugungsarbeit geleistet werden, noch besteht Raum für Differenz oder Widersprüche. Ein gemeinsames Aushandeln der Positionen ist in diesem Fall vergebliche Mühe. Wenn sich das Gegenüber jedoch offen für kontroversen Austausch und interessiert an Kritik und Gegenargumenten zeigt, so ist es durchaus lohnenswert, das Gespräch zu suchen. Wichtig ist, nicht einfach eine dichotome Gegenposition einzunehmen, sondern zunächst zu versuchen, eine verständnisvolle Ebene zu etablieren. Auch hier sind Fragen zunächst wichtiger als Antworten.
Warum glaubt mein Gegenüber an diese Verschwörungserzählung und wie wirkt sie sich auf sein Leben aus?
Der Kern des Problems ist in der Regel nicht die Verschwörungserzählung an sich, sondern das, was mein Gegenüber aus ihr bezieht – z.B. eine starke identitäre Aufwertung, durch das Gefühl, mehr zu wissen, als die Mehrheitsgesellschaft. Gleichzeitig greifen sie die diffusen Gefühle von Unbehagen ihrer Anhängerschaft auf und lenken sie auf vermeintlich eindeutige Feindbilder, an denen diese sich abarbeiten kann. Meist haben diese Feindbilder und die ihnen unterstellte Verschwörung wenig mit den manifesten Problemen zu tun, die vordergründig zu bearbeiten wären. Eventuell lässt sich hier schon der erste Zweifel säen. Vielleicht kommt das Gespräch auf Probleme im Privatleben, die auch außerhalb der Verschwörungserzählung verhandelt werden können. Es geht darum, herauszufinden, welches Unbehagen hinter dem Verschwörungsglauben steckt. Dieses kann möglicherweise geteilt und dadurch validiert werden, es sei denn, es handelt sich um ein Ressentiment. Diese wiederum sollten als das ernst genommen werden, was sie sind – nämlich keine Sorgen, sondern gefährliche Menschenfeindlichkeit.
In was für einer Welt möchten wir leben?
Nur, wenn es noch eine gemeinsame Basis gibt – wie minimal der Konsens zunächst auch scheinen mag – kann eine inhaltliche Auseinandersetzung überhaupt fruchtbar sein. Um zu entscheiden, ob es diese Basis gibt, ist es nötig, sich die eigene Haltung zu vergegenwärtigen. Wer beispielsweise davon ausgeht, dass alle Menschen in ihrer ganzen Diversität gleichwertig sein sollen, wird mit einem Rassisten keine Gesprächsgrundlage finden. Besteht jedoch die Möglichkeit, sich über bestimmte Dinge noch einig zu werden, kann von dort aus gemeinsam untersucht werden, warum die jeweiligen Schlüsse und Erklärungsmodelle sich so stark unterscheiden.
Woher beziehen wir unser Wissen?
Vermutlich werden sie selbst und der Verschwörungsgläubige ganz unterschiedliche Quellen zu ihrer Information nutzen und für glaubwürdig halten. Deshalb kann es hilfreich sein, am Anfang gemeinsam die jeweiligen Quellen zu recherchieren und zu analysieren. Wenn möglich, recherchieren Sie gemeinsam und analysieren die jeweiligen Quellen – auch Ihre eigenen – auf Seriosität und Glaubwürdigkeit:
- Wird der Sachverhalt differenziert dargestellt und auf seriöse Quellen verwiesen?
- Wird ein Feindbild dargestellt? Wenn ja, wie wird es beschrieben (z.B. mit rassistischen oder antisemitischen Chiffren)?
- Wirkt der Inhalt manipulativ? Dies kann sich beispielsweise in einer sehr emotionalisierenden Sprache ausdrücken.
- Was wird durch die Argumentation legitimiert (z.B. Gewalt)?
- Welches Welt- und Menschenbild liegt der Quelle zugrunde?
Durch die Analyse anhand dieser Fragen können menschenfeindliche, antidemokratische Tendenzen aus einer Quelle herausgearbeitet werden. So können Sie Quellen einschätzen, ohne sich an den faktischen Einzelheiten aufhalten zu müssen. Dabei entscheiden Sie als Leser:in, ob Sie mit den herausgearbeiteten Tendenzen einverstanden sind bzw. sie akzeptieren können, oder nicht. Sich gemeinsam diese Form des kritischen Lesens anzueignen, erweitert die Möglichkeiten der Auseinandersetzung und fördert ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Wir sind nicht Opfer unseres Weltbildes
Ähnlich wie Angehörige von Sektenmitgliedern hegen viele betroffene Menschen den Wunsch, insbesondere wenn es sich um nahe Bezugspersonen handelt, ihr Gegenüber aus seinem Verschwörungsglauben zu befreien. Tatsächlich weisen verschwörungsideologische Communities und religiöse Sekten durchaus strukturelle Parallelen auf und treten häufig ineinander verschränkt auf. Sowohl für religiösen Fanatismus als auch für Verschwörungsglauben gilt jedoch, dass niemand gegen seinen Willen von diesem Glauben befreit werden kann. Im Gegenteil: Jeder Zugriff von außen verstärkt häufig die Abwehr und trägt zu einer Radikalisierung bei. Das heißt jedoch nicht, dass Sie mit allem einverstanden sein müssen, was Ihr Gegenüber von sich gibt. Die Art des Widerspruchs und der Konfliktführung ist jedoch bedeutsam. Wenn Sie Ihr Gegenüber nicht als mündige:n Gesprächspartner:in ernst nehmen, wird sich kein Gespräch auf Augenhöhe entwickeln. An Verschwörungsideologien zu glauben, ist eine Entscheidung, die Sie ernst nehmen müssen. Dazu gehören auch etwaige menschenfeindliche und antidemokratische Inhalte, an denen Sie Kritik üben dürfen und sollen.
Wir sind nicht die Opfer unseres Weltbildes, andere jedoch möglicherweise schon. Verschwörungsideologien basieren auf einem manichäischen Weltbild. Das bedeutet, sie erklären die Welt als permanentes Ringen zwischen guten und bösen Mächten. Letztere wiederum beschreiben sie als das absolut Böse, das weder reformierbar ist, noch verdrängt werden kann, sondern immerzu versucht, die Welt zu vernichten. Diese apokalyptische Vorstellung kennt – zu Ende gedacht – nur eine Lösung für die Rettung der Welt – die Vernichtung der bösen Mächte. Es wird deutlich, dass Verschwörungsideologien zumindest strukturell das Potential, sich zu Gewalt- und Vernichtungsfantasien zu radikalisieren, immer in sich tragen. Die meisten rechtsterroristischen Attentäter der letzten zehn Jahre haben ihre schrecklichen Taten verschwörungsideologisch legitimiert.
Das heißt, von verschwörungsideologischen Weltbildern sind in erster Linie Dritte betroffen. Zuvorderst jene, die durch die enthaltenen Ressentiments diskriminiert und zu Feindbildern stilisiert werden. Außerdem sind jene betroffen, die empfänglich für Agitation durch regressive Welterklärungsmuster sind. Und nicht zuletzt sind Sie selbst auch betroffen.
Diesen Fokus nicht zu verlieren, ist manchmal schwer, lohnt sich jedoch. So können Sie leichter Prioritäten setzen und sich selbst sowie ggf. andere schützen. Grundsätzlich gilt immer: Der Respekt vor persönlichen Grenzen ist nicht verhandelbar, sondern Grundlage jeder gelingenden sozialen Interaktion.
Melanie Hermann hat an der Universität Hamburg das Studium der Ethnologie und Geschichtswissenschaft mit Magistra Artium abgeschlossen und arbeitet seit 2017 bei der
Amadeu Antonio Stiftung. Mittlerweile leitet Sie das Projekt No World Order.