Die besonderen Herausforderungen für gesellschaftliches Engagement auf dem Land

Das ÜBERLAND Festival der Akteure zielt darauf, Menschen, die sich auf dem Land in Ostdeutschland engagieren, zusammenzubringen. Das Festival bietet ihnen für drei Tage die Möglichkeit, sich zu vernetzen, Wissen auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln. Es ist für viele Teilnehmer:innen eine gute Gelegenheit, um in den Dialog mit Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung zu kommen. Entstanden ist das Festival aus dem Programm Neulandgewinner der Robert Bosch Stiftung. Wie schon im vergangenen Jahr fand das Festival vom 10. bis 12. September im Kulturzentrum „Kühlhaus“ in Görlitz statt. Erneut konnten alle Interessierten teilnehmen und bei dieser etwas anderen Konferenz über den Tellerrand schauen. Dieses Jahr war auch die Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt mit von der Partie. In der insgesamt zweistündigen Session der Allianz wurden die Themen diskutiert, für die sich die Mitgliedsstiftungen mit ihren Aktivitäten ganz besonders einsetzen: Integration und Vielfalt, Engagement und Zusammenhalt sowie Demokratie.

Sechs der insgesamt dreizehn Mitgliedsstiftungen waren in die östlichste Stadt Deutschlands gereist, um die Gelegenheit zu nutzen, sich direkt mit Engagierten aus ganz Deutschland auszutauschen. Entscheidend war dabei, von den Teilnehmenden aus verschiedenen Regionen Deutschlands von ihren konkreten Erfahrungen aus der Praxis zu lernen. Die Diskussionen um die drei Themenbereiche Integration, Engagement und Demokratie gaben Anregungen für die Stiftungsarbeit und zeigten auf, welche Themen und Herausforderungen die Engagierten vor Ort beschäftigen. Ein Thema, das dabei immer wieder zur Sprache kam, war die Nachwuchsgewinnung vor Ort und hierbei insbesondere die Fragen der Beteiligung von Jugendlichen und die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte.

Nachwuchssorgen bei Engagierten auf dem Land

Es existiert ein sehr vielfältiges Engagement auf dem Land, aber Nachwuchssorgen treiben die meisten Initiativen um. Der ländliche Raum bietet im Gegensatz zu vielen Städten ausreichend Platz, um kreativ zu werden. Allerdings fehlen oft die Strukturen und vor allem die Menschen, um tatsächlich etwas zu bewegen. Ob eine Idee auf fruchtbaren Boden fällt, hängt häufig von wenigen einzelnen Personen ab, die sich stark einbringen, ein Netzwerk haben oder sich um Fördermittel kümmern. Leider fehlt aber immer öfter der notwendige Nachwuchs, der diese Rollen ausfüllen kann. Deshalb ist es wichtig, auch Angebote in der Fläche zu schaffen und nicht nur in Mittel- und Oberzentren. Um auch Zugezogenen, die sich auf dem Land ein Leben aufbauen wollen, eine Bleibeperspektive zu bieten, ist neben günstigem Wohnraum auch eine lebendige Kommune mit Aktivitäten und Angeboten von großer Bedeutung. Die Landflucht, die Auswirkungen des demografischen Wandels und fehlende Möglichkeiten, sich einzubringen, beeinflussen sich wechselseitig: Ziehen immer mehr Menschen fort, fehlen zunehmend die Aktiven, die vor Ort etwas bewegen und Angebote schaffen. Fehlen die Angebote vor Ort, fallen die ländlichen Regionen immer weiter hinter den Städten zurück und werden zunehmend unattraktiv, sodass die Abwanderung zunimmt und der Zuzug unwahrscheinlicher wird. Umso wichtiger ist es, diesen Kreis zu durchbrechen und Menschen, die sich in ihren Heimatorten engagieren, dabei zu unterstützen, das Landleben attraktiv zu gestalten.

Beteiligung von jungen Menschen ist herausfordernd, aber wichtig

Die Perspektive junger Menschen fehlt bei den Aktivitäten zu häufig. Viele Engagierte suchen nach Mitteln und Wegen, um junge Menschen anzusprechen und zu beteiligen. Damit das gelingt, ist es entscheidend, ihnen Mitsprachemöglichkeiten bei Vorhaben in ihrer Region einzuräumen. Jugendliche kann man für das Engagement gewinnen, wenn die Beteiligung Spaß macht und der Sinn der Aktivitäten klar erkennbar ist (mehr dazu hier von Klaus Farin). Nimmt man die Jugendlichen ernst und fragt sie nach ihren eigenen Ideen, erlernen sie neue Fähigkeiten und machen wichtige Erfahrungen. Diese bilden die Grundlage dafür, wenn es darum geht, sich auch als Erwachsene in Vereinen oder Initiativen zu engagieren. Deshalb sollte das Ziel sein, dass sich junge Menschen mit ihrem Heimatort identifizieren und mit ihren Bedürfnissen und Themen ernst genommen fühlen, um eine Bleibeperspektive für die Zukunft zu entwickeln. Oftmals muss die Beteiligung junger Menschen jedoch erst noch als Chance begriffen werden und die ältere Generation muss bereit sein, auch den Jungen Verantwortung zu übertragen.

Stärkere Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte hat viele Vorteile

Weiteres, bislang wenig genutztes Potenzial liegt in der Beteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte in ländlichen Regionen. Wenn auch sie mit ihren Anliegen und Themen im lokalen Diskurs vorkommen und in Vereinen und Initiativen Gehör finden, kann zum einen Inklusion besser funktionieren und zum anderen ein gesellschaftliches Klima entstehen, in dem sich alle Menschen willkommen fühlen. Gerade freiwillige Feuerwehren, Kunst-, Heimat- und Sportvereine können ein Hebel sein, um Vorurteile abzubauen, die Nachbarn kennenzulernen und gemeinsam Vielfalt zu leben. Dazu gehört auch, dass lokale Entscheidungsträger, Unternehmen und Alteingesessene sich gegen Alltagsrassismus und Diskriminierung und für Integration und mehr Partizipation einsetzen. Wenn sich alle Menschen eingeladen fühlen, sich zu engagieren und positive Beispiele als solche auch kommuniziert werden, kann das helfen, die Engagementbereitschaft bei denjenigen zu stärken, die sich sonst eher ausgeschlossen fühlen. Ein perspektivisch größeres Engagement von migrantischen Personen insbesondere auch in ländlichen Regionen würde in Zukunft sicherlich dazu beitragen, dass zum einen Nachwuchssorgen weniger drängend sind und zum anderen Vielfalt stärker als Bereicherung wahrgenommen wird.

Stiftungen müssen Engagierte in ländlichen Räumen stärken

Gerade in Zeiten, in denen staatliche Fördergelder für Demokratieprojekte aus politisch motivierten Gründen infrage gestellt werden, ist es ein wichtiges Signal, dass zivilgesellschaftliche Akteure hier gegensteuern und ein deutliches Zeichen für Vielfalt und Beteiligung setzen. Insbesondere ländliche, eher strukturschwache Regionen, in denen antidemokratische Kräfte auf dem Vormarsch sind, müssen in den Fokus der Förderung genommen und diese auf die Bedarfe vor Ort flexibel angepasst werden. Es ist zwar nicht die Aufgabe von Stiftungen, Strukturen und hauptamtliche Mitarbeiter:innenstellen zu schaffen, mit ihren Positionierungen und Initiativen können sie jedoch auf drängende Probleme hinweisen, Hemmschwellen abbauen und Modellprojekte fördern.

Den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken ist ein wichtiges Ziel der Stiftungen der Allianz für Zusammenhalt. Dass dafür auch die ländlichen Räume in den Blick genommen werden müssen, hat der Austausch auf dem ÜBERLAND Festival deutlich gemacht. Denn für den Zusammenhalt ist es wichtig, dass das Engagement auch auf dem Land gestärkt wird und Menschen sich in ihrer Heimatregion für Vielfalt und ein lebendiges, demokratisches Miteinander einsetzen. So war das ÜBERLAND Festival für die Allianzmitglieder genau der richtige Ort für Austausch, Diskussion und Vernetzung, um am Puls der Zeit zu bleiben und mehr über die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen für Aktive auf dem Land zu erfahren.