Die Begegnungsbox – Wie Nachbarschaften sich auch in Corona-Zeiten treffen können

Gastbeitrag von Nina Warneke, Gründerin und Geschäftsführerin des Sozialunternehmens
interkular aus Berlin

Die Gesellschaft befindet sich im permanenten Wandel…

Gerade zu Corona Zeiten können wir das sehr deutlich sehen. Die Zeit und ihre gesundheitlichen, wirtschaftlichen aber vor Allem gesellschaftlichen Auswirkungen sind ungewiss. Es ist wichtig, sich agil mit zu verändern. Oft – vor allem in großen Städten – spiegelt sich die Vielfalt der Gesellschaft schon im eigenen Viertel und sogar im eigenen Haus. Als Sozialunternehmen, das sich für mehr gelebte Vielfalt einsetzt, haben wir von interkular es uns in den letzten Jahren zur Aufgabe gemacht, für dieses Ziel Begegnungsformate zu entwickeln. Denn Begegnung lohnt sich!

Der Küchentisch im Innenhof – das waren noch Zeiten…

Begonnen hat alles mit einer Aktion, zu der wir unser Büro in Neukölln einfach auf die Straße verlegt haben. Mit einem bunten Angebot an Getränken und Knabbereien luden wir die Nachbarschaft an unsere Bürotische und kamen ins Gespräch. Schon bald bildeten sich Grüppchen von Nachbar*innen, die feststellten, dass sie im gleichen Haus oder in der gleichen Straße wohnten und sich über dieses Zusammentreffen hinaus vernetzten.

Weitere Tischaktionen folgten. Wir stellten uns in Wohnstraßen, vor Supermärkte, machten auf Aktivitäten in der Nachbarschaft aufmerksam und vernetzten Menschen miteinander. Das klappte so gut, dass wir beschlossen, aus dieser Idee ein Begegnungsformat zu entwickeln: den Küchentisch im Innenhof. In Kooperation mit einer Hausverwaltung und einem Eigentümer führten wir ab 2018 ein Pilotprojekt in drei Berliner Miethäusern durch, in denen wir uns in monatlichen Abständen in den Innenhöfen der Häuser trafen und Nachbarn einluden miteinander ins Gespräch zu kommen. Eine Pinnwand im Hausflur unterstützte dazu noch die offline Vernetzung der Nachbarschaft.

Familien fanden Student*innen im Haus zum Babysitten, Bachelor-Arbeiten wurden korrigiert, Sprachtandems eingerichtet, Initiativen für einen kleinen Garten im Hof gegründet und Erfahrungen in der Infrastruktur der Nachbarschaft, sowie Geschichten zum Haus ausgetauscht. So erzählte eine ältere Dame am Küchentisch, wie es in dem Haus früher Brötchendienste gegeben hat. Jeden Sonntag war eine Wohnpartei mit Brötchen holen für das gesamte Haus dran und alle anderen konnten sich nach dem Aufstehen über den Frühstücksservice auf der Fußmatte freuen. Ihre Idee fand großen Anklang und so konnte etwas, was es „früher schon gegeben hat“ wieder eingeführt werden. Die ältere Dame hatte sich damit in ihrem Haus einen Namen und mit der Geschichte sichtbar gemacht.

Schon bald merkte die Nachbarschaft, auch anhand solcher Geschichten, dass sich Begegnung tatsächlich lohnt. Selbst wer am Anfang mit den Worten „keine Zeit“ vorbeirauschte, stellte mitunter schnell fest, dass ein nachbarschaftliches Netzwerk auch eine Zeitersparnis darstellen kann. In einem Haus konnten wir die Organisation des Küchentisches sogar schon an engagierte Bewohner*innen übergeben, bei den anderen waren wir kurz davor. Da kam Corona und die physische Distanz legte die Weiterentwicklung dieses Projektes vorerst lahm.

Social distancing – nicht mit uns!

Denn: soziale Kontakte einschlafen lassen – das wollten wir um jeden Preis verhindern. Begegnung hält gesund! Physischer Kontakt soll dieser Tage vermieden werden doch soziale Nähe erhalten bleiben. So entwickelten wir ein neues – kontaktloses – Format für die Nachbarschaft: Die Begegnungsbox!

Die Begegnungsbox umfasst unter anderem eine Pinnwand mit reichlich Equipment für den Hausflur sowie ein Booklet mit Anregungen und Hilfestellungen, die der aktuellen Situation angepasst sind.

Die Startfinanzierung für dieses Projekt hat die Postcode-Stiftung übernommen, sodass die Begegnungsbox an Interessent*innen, die nachbarschaftlichen Zusammenhalt im eigenen Haus etablieren möchten, kostenlos und bedingungslos versandt werden kann. Sie kann per E-Mail unter begegnungsbox@interkular.de bestellt werden. Wenn alles gut läuft und viele Menschen die Bedeutung des Nachbarschaftlichen Zusammenhaltes sehen und fördern wollen, können wir durch Spenden bei Betterplace.com ein von der Gesellschaft finanziertes Gesellschaftsprojekt weiterentwickeln. Das ist unser
Ziel!

Seit die Box vor drei Wochen das erste Mal gepackt wurde, haben schon über 70 Hausgemeinschaften aus ganz Deutschland unser Angebot in Anspruch genommen – sogar in die Schweiz haben wir ein Exemplar geschickt. Und es bleibt nicht beim bloßen Versand. Auch unsere Expertise als Begegnungsexpert*innen stellen wir weiter zur Verfügung: Wir bleiben mit den Interessent*innen in Kontakt, erarbeiten gemeinsam für ihre Häuser passende Konzepte, um noch mehr Nachbar*innen zu erreichen und nutzen ihr Feedback, Erfahrung und Anregungen, um die Box zu optimieren. So gibt es vom Booklet bereits eine zweite Auflage.

Kontaktlose Begegnung auch zum Tag der Nachbarn

Nicht nur Privatpersonen konnten wir begeistern, auch der Verband Sozial-kultureller Arbeit (VSKA) findet das Projekt spannend und hat für das Fest der Nachbarn gleich 100 Boxen für ihre Mitgliedsorganisationen (Nachbarschaftsinitiativen) bestellt, für die wir ein erweitertes Nachbarschaftskonzept für den öffentlichen Raum entwickelt haben.

Vielleicht könnt Ihr ja schon am 29.5. zum Fest der Nachbarn über die Pinnwand in Eurer Nachbarschaft aktiv werden. Besonders Menschen, die sich in der Online-Welt nicht so zuhause fühlen, sind jetzt auf gute nachbarschaftliche Vernetzung angewiesen und können so nachhaltig soziale Kontakte halten.

Auch nach Corona wird eine solidarische Nachbarschaft das Kapital einer gesunden Gesellschaft sein.
Wir beginnen JETZT gemeinsam, dies aufzubauen. Es wird sich viel verändern in nächster Zeit und das birgt auch Chancen. Mit dem Aufbau einer solidarischen Nachbarschaft wird Bewegungen wie Rassismus, Ausgrenzung und einer Splittung der Gesellschaft von innen entgegengewirkt. Macht mit, denn Begegnung lohnt sich!!!

ÜBER INTERKULAR GGMBH:

Das Sozialunternehmen interkular gGmbH wurde 2017 in Berlin-Neukölln von Dr. Dominik Haubrich und Nina Warneke gegründet. Arbeitsziel ist es, Nachbarschaften, Geflüchtete und Arbeitgeber bei der interkulturellen Zusammenarbeit und beim Zusammenleben zu unterstützen. interkular sieht sich dabei als Verbindungsstück. Das 20-köpfige Team verfügt über vielfältige Praxiserfahrung in der Jugendarbeit, der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit aktueller Fluchtbiografie, dem Aufbau von Vernetzungsstrukturen und dem interkulturellen Dialog. Weitere Infos unter www.interkular.de.