Serie über Zusammenhalt in Zeiten der Krise | Teil 3: Vertrauen Sie mir? Über das generelle Vertrauen in Mitmenschen
Über die Serie: Im Projekt „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ untersuche ich seit 2012, wie es um das gesellschaftliche Miteinander in Deutschland bestellt ist. Grundlage ist ein Modell mit neun Dimensionen: Soziale Netze, Vertrauen, Toleranz, Identifikation, Institutionenvertrauen, Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Anerkennung sozialer Regeln und gesellschaftliche Teilhabe. In jedem Teil dieser Serie werde ich darauf eingehen, welche Auswirkungen die Coronakrise auf jeweils eine der Dimensionen von Zusammenhalt hat. Im letzten Beitrag habe ich erklärt, wie es um die Qualität der sozialen Netze steht. In diesem Beitrag geht es heute um das generelle Vertrauen in Mitmenschen.
Vertrauen ist der Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält.
Das mehrdimensionale Modell von Zusammenhalt, dass ich für meine Studien verwende, ist verhältnismäßig komplex. Wir messen unterschiedliche Dimensionen von Zusammenhalt mit insgesamt 36 Indikatoren. Wenn ich aber nur eine Frage stellen dürfte, um etwas über den Zusammenhalt in einer Gesellschaft zu erfahren, würde ich nach dem sogenannten „generalisierten Vertrauen“ fragen. Hierbei geht es um das Ausmaß des Vertrauens, das die Menschen in einer Gesellschaft im Allgemeinen ihren Mitmenschen entgegenbringen. Es geht also nicht um das Vertrauen in Freunde und Bekannte oder in bestimmte Funktionsträger (Politiker, Polizisten, Journalisten), sondern in andere Menschen per se.
Je höher das Vertrauen, desto höher der Wohlstand
Warum ist dieses generelle Vertrauen so zentral für das Miteinander? Zum einen scheint das Ausmaß des Vertrauens ein guter Indikator für die Lebensqualität in einer Gesellschaft zu sein. In unseren eigenen Studien ist die Frage zum generalisierten Vertrauen diejenige, die von allen 36 Indikatoren am stärksten mit dem Gesamtergebnis korreliert. Das heißt, wenn ich das Vertrauen kenne, kann ich bereits recht präzise auf den Zusammenhalt insgesamt schließen. Zum anderen korreliert das Vertrauensniveau in einer Gesellschaft auch mit anderen Variablen. Gut erforscht ist z.B. der Zusammenhang von Wohlstand und Vertrauen. So hat Francis Fukuyama Mitte der 1990er Jahre argumentiert, dass Länder wirtschaftlich erfolgreicher und wohlhabender sind, in denen das Vertrauen größer ist. Den Grund dafür sah er darin, dass ein höheres Maß an Vertrauen soziale und wirtschaftliche Interaktionen erheblich vereinfacht. Inzwischen gibt es eine sehr umfangreiche internationale Forschung zum Thema Vertrauen (dieser Artikel gibt einen recht guten Überblick).
Wie messen wir Vertrauen?
Im Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt messen wir Vertrauen in die Mitmenschen mit insgesamt vier Fragen: Wir fragen, wie sehr man Menschen vertraut, denen man zum ersten Mal begegnet, ob man davon überzeugt ist, die meisten Menschen hätten gute Absichten, und ob man die Meinung vertritt, man könne sich heutzutage auf niemanden mehr verlassen. Als vierte Frage stellen wir den Klassiker der Vertrauensfragen überhaupt. Entwickelt wurde diese Standardmessung bereits 1948 in Deutschland von Elisabeth Noelle-Neumann, der Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach. Heutzutage wird diese in unterschiedlichen Versionen weltweit eingesetzt. Der Fragetext lautet in unserer Variante: „Manche Leute sagen, dass man den meisten Menschen vertrauen kann. Andere meinen, dass man nicht vorsichtig genug sein kann. Wie ist das Ihrer Meinung nach?“ Die Befragten können sich dann auf einer Skala von 0-10 einordnen.
Internationale Unterschiede
Seit Jahrzehnten wird dieser Klassiker der Vertrauensfragen in unterschiedlichen Surveys erhoben. Und es fällt auf, dass es klare internationale Muster gibt. In der Abbildung unten sind Daten aus dem World Value Survey eingezeichnet, aufbereitet von Our World in Data. In diesem Fall wurde die Antwort auf die Frage dichotomisiert und aufgeführt ist der prozentuale Anteil derjenigen, die sagen, man könne den meisten Menschen vertrauen. Man erkennt, dass die Spannbreite recht groß ist. In Norwegen, den Niederlanden, Schweden und Finnland haben teilweise deutlich mehr als 50 Prozent der Menschen generalisiertes Vertrauen. In Rumänien, der Türkei, aber auch in Frankreich und in Spanien sind die Werte deutlich geringer. Deutschland liegt im Mittelfeld beim generalisierten Vertrauen. Schaut man sich den Zeitverlauf an, wird außerdem deutlich, dass das die Werte relativ stabil ist und nicht allzu sehr schwanken.
Aber welche Rolle spielt Vertrauen beim Umgang mit der Corona-Krise? Der amerikanische Think Tank PEW Research Center hat dazu Mitte März 2020 eine interessante Studie in den USA durchgeführt. Für diese Studie wurde auch eine Variante des oben beschriebenen Klassikers verwendet sowie zwei weitere Fragen: „Die meisten Menschen verhalten sich gerecht vs. wollen nur ihren eigenen Vorteil erzielen“ und „Die meisten Menschen versuchen anderen zu helfen vs. denken nur an sich selbst“. Anhand der Antworten auf diese drei Fragen lässt sich die amerikanische Gesellschaft in drei Gruppen einteilen: 29 Prozent haben ein besonders hohes Vertrauen, 35 Prozent ein besonders geringes Vertrauen und 32 Prozent stellen eine Mittelgruppe dar. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 haben sich die Anteile zwischen diesen Gruppen aber verschoben. Der Anteil derer mit hohem Vertrauen lag zwei Jahre früher bei 22 Prozent und hat in der Corona-Krise um 7 Prozentpunkte zugelegt, während die Mittelgruppe von 41 Prozent auf 32 Prozent zurückgegangen ist. Der Anteil derer mit geringem Vertrauen ist gleichgeblieben.
Hohes Vertrauen und der Umgang mit der Krise
In der PEW Studie zeigt sich, dass Menschen mit geringem Vertrauen häufiger von psychischen Belastungen berichten. Sie geben eher an, nervös zu sein, sich bedrückt oder einsam zu fühlen. 41 Prozent der Menschen mit geringem Vertrauen berichten von Schlafstörungen, während dies nur 22 Prozent derjenigen mit hohem Vertrauen sagen. Grundsätzlich sind die Menschen mit größerem Vertrauen auch zufriedener mit der Arbeit der offiziellen Stellen im Umgang mit der Krise als diejenigen mit geringem Vertrauen. Den Verantwortlichen im Gesundheitswesen, im Bundestaat oder auch Aktiven in der eigenen Gemeinde, den Medien und den gewählten Vertretern stellen die Hochvertrauenden durchweg ein positiveres Zeugnis aus – teilweise sehr deutlich. Nur wenn es um die Leistung des amerikanischen Präsidenten geht, fällt die Bewertung durch die Mittelgruppe höher aus und die beiden Pole liegen eng beieinander.
Vertrauen als Ressource, um mit Herausforderungen umzugehen
Generelles Vertrauen ist eine soziale Ressource, die es Menschen einfacher macht, psychisch mit neuen und unsichereren Situationen umzugehen. Anstatt von der Unübersichtlichkeit und Ambivalenz einer Situation überfordert zu werden, ermöglicht ein hohes generalisiertes Vertrauen, auch in diesen Situationen gelassen zu bleiben. Dabei muss man aber anerkennen, dass hohes Vertrauen nicht zufällig entsteht, sondern selbst wieder eine soziale Basis hat. In der PEW Studie, wie auch in vielen anderen Untersuchungen, zeigt sich, dass hohes Vertrauen i.d.R. mit höherem Einkommen, höherer Bildung und höherem Alter einhergeht. In den USA tritt noch ein weiterer Effekt hinzu. Die ethnische Zugehörigkeit spielt auch eine entscheidende Rolle: Weiße Amerikaner haben höheres Vertrauen als Schwarze oder hispanische Amerikaner. Wer also eine sichere Position in der Gesellschaft hat, kann es sich auch eher leisten, zu vertrauen.
Was bleibt?
Die Datenlage zum Thema generalisiertes Vertrauen und Corona-Krise ist (noch) recht übersichtlich. Dennoch zeigt die PEW Studie deutlich, dass ein hohes Maß an Vertrauen ein individueller Schutzfaktor für die psychische Belastung durch die Krise sein kann. Wer besser eingebunden ist, eine sicherere soziale Position hat und mithin stärker vertraut, kommt mit der neuen Situation besser zurecht. Dies mag sich mit Einschränkungen auch auf die kollektive Ebene übertragen lassen. Vielleicht können auch die Länder, in denen das generalisierte Vertrauen hoch ist, besser mit Krisen und Veränderungen umgehen als die mit geringem Vertrauen. Als Risiko bleibt, dass die Krise auch Vertrauen „auffrisst“, wenn einerseits die sicheren sozialen Positionen anfangen zu bröckeln und andererseits in den konkreten Interaktionen in Krisenzeiten Vertrauen enttäuscht wird.
Hier geht es zu den bisherigen Teilen der Serie: Teil 1 und Teil 2.