Aufstand der Unsolidarischen? Die Entwicklung von Corona-Verschwörungsmythen in Deutschland

Die Gegner:innen von Corona-Maßnahmen begründen ihre Ablehnung häufig mit der Sorge um die Einschränkung von Freiheit. Die Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen sehen die Pandemie sogar als Instrument, das Regierungen nutzen, um Menschen ihre Freiheit zu nehmen. Doch die Werte, die das Freiheitsverständnis dieser Gruppen ausmachen sollten kritisch betrachtet werden. Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen verstehen unter Freiheit weniger eine positiv definierte Freiheit, die mit anderen pluralistisch geteilt werden kann. Eher stellt Freiheit für sie die Ablehnung gemeinschaftlicher Orientierungen dar. Dieses Verständnis spiegelt eine Ich-bezogene Sicht auf die Welt wider. Vielen geht es nicht um ein liberales Freiheitsverständnis, sondern vielmehr darum ohne Berücksichtigung anderer ihr Leben gestalten zu können.

In einer repräsentativen Umfrage der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands konnten wir im Zuge des Projekts „Werte in der Krise“ untersuchen, wie sich Einstellungen zu Corona-Verschwörungsmythen seit Beginn der Pandemie entwickelt haben. Gefördert durch die VolkswagenStiftung und in Kooperation mit Kolleg:innen an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Leuphana Universität Lüneburg und der Jacobs University Bremen haben wir bei d|part Menschen zu Beginn der Pandemie im April und Mai 2020 und dann noch einmal im Februar und März 2021 zu ihren Ansichten befragt (1220 Personen in beiden Befragungswellen). Dies ermöglicht uns zu erkennen, welche Bevölkerungsgruppen sich Corona-Verschwörungsmythen zu- oder abgewandt haben.

Corona-Verschwörungstheorien finden weniger Anklang – fast überall

Im Vergleich zu 2020 sank der Anteil derer, die an Verschwörungsmythen im Rahmen der Pandemie glauben stark. Zu Beginn der Pandemie stimmten noch über 14 Prozent folgender Aussage zu:

,,Die sozialen Medien sind voll von Geschichten, die behaupten, die Corona-Pandemie sei ein einziger Schwindel und die Schutzmaßnahmen eine hysterische Überreaktion. Glauben Sie solche Geschichten?“

Im Frühjahr 2021 bejahten dies nur noch rund 9 Prozent (siehe Abbildung 1). Während 3 Prozent der Bevölkerung ins Lager der Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen wechselten, gaben rund 8 Prozent diese Ansicht im Vergleich zum Vorjahr auf. Ein harter Kern von 6 Prozent glaubte aber durchgängig daran. Einen Rückgang können wir nahezu bundesweit erkennen, mit einer Ausnahme: Sachsen. Hier war schon 2020 das Niveau an Corona-Verschwörungsgläubigen hoch, es stieg aber noch mal auf über ein Viertel der Bevölkerung und ist damit mit Abstand das Hotspot-Bundesland.

Abbildung 1

Entwicklung des Glaubens an Corona-Verschwörungsmythen im Vergleich 2020 und 2021

n = 1.220 Befragte

Wertehaltungen und Freiheit

Menschen in Deutschland, die 2021 Corona-Verschwörungsmythen anhängen, unterscheiden sich deutlich in einer bestimmten Wertehaltung vom Rest der Bevölkerung. Sie tendieren deutlich stärker dazu, jegliche Vorstellungen von Konformität mit der Gemeinschaft abzulehnen (siehe Abbildung 2). Hingegen gibt es keine klaren Unterschiede zwischen ihnen und anderen in der Tendenz zu hedonistisch-individualistischen Wertehaltungen. Sie grenzen sich also nicht dadurch ab, dass sie beispielsweise eher zu einem angelsächsischen Freiheitsverständnis neigen würden, das Individualismus als positives Merkmal einer Gesellschaft, der auch sie angehören, insgesamt ansieht. Stattdessen ist ihr Ruf nach Freiheit eher der Ausdruck einer Abgrenzung vom Rest der Gesellschaft und verbunden mit der starken Ablehnung von Anpassung an die Gemeinschaft. Diese Erkenntnisse ergänzen die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie zu Wertemilieus (2021), die auch auf diesem Blog in einem Beitrag besprochen wurden.

Abbildung 2

Anteil der Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen nach Zustimmung zum Grundwert Konformität

n = 1.220 Befragte

Gesundheitsschutz zählt weniger für Verschwörungsanhänger:innen

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland (53 Prozent) sagte im April 2021, dass Gesundheitsschutz wichtiger als Freiheit wäre, 35 Prozent sahen beides als gleichbedeutend an und 12 Prozent bevorzugen den Schutz der Freiheit über den der Gesundheit. In den Profilen dieser Gruppen sehen wir deutlich, wie stark diese Betonung mit Verschwörungsglauben zusammenhängt (siehe Abbildung 3). Nur 6 Prozent derer, die Gesundheit stärker betonen, glaubten seit Ausbruch der Pandemie jemals an Corona-Verschwörungsmythen – aktuell sind es nur noch 2 Prozent in dieser Gruppe. Der Anteil steigt bei jenen, die Gesundheit und Freiheit gleich gewichten auf 22 Prozent (je zur Hälfte ehemalige und aktuelle Anhänger:innen) und liegt bei fast der Hälfte (48 Prozent) für jene Minderheit, die Freiheit als wichtiger ansieht (mit 36 Prozent, die das auch aktuell so sehen).

Abbildung 3

Anteil der Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen und der Schutz von Gesundheit und Freiheit

n = 1.220 Befragte (aufgrund des Ab- beziehungsweise Aufrundens ergeben manche Prozentangaben nicht 100 Prozent)

Fehlendes Vertrauen erschwert den Zugang zu Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen

Menschen, die Corona für einen Schwindel halten, sind nur schwer über traditionelle Institutionen zu erreichen, da sie denen massiv misstrauen. Unter Menschen, die der Wissenschaft wenig oder überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen, fanden sich drei bis vier Mal so viele, die 2021 Corona-Verschwörungsmythen anhingen, als unter jenen, die der Wissenschaft vertrauten (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4

Anteil der Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen nach Vertrauen in die Wissenschaft

n = 1.220 Befragte

Ähnliche Muster zeichnen sich für das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in die Bundesregierung ab. Aufgrund dieses Misstrauens werden traditionelle Medien, Politik oder auch die Wissenschaft häufig zur „Zielscheibe von kruden Behauptungen und Anfeindungen“ (siehe Blogbeitrag von Michael Blume). Hingegen besteht in dieser Gruppe großes Vertrauen in die sozialen Medien. Während wir unter Menschen, die traditionelle Medien glaubwürdiger finden nur 4 Prozent aktuelle Verschwörungsanhänger:innen fanden, waren es bei jenen, die eher sozialen Medien vertrauen 43 Prozent.

Abbildung 5

Anteil der Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen nach der Glaubwürdigkeit von sozialen und traditionellen Medien

n = 1.220 Befragte

Schlussfolgerungen

Die Kopplung von fehlendem Vertrauen in etablierte Institutionen und die Ablehnung von Anpassung an andere resultiert damit in einer höchst problematischen Situation. Es ist unwahrscheinlich, dass der harte Kern der Anhänger:innen von Corona-Verschwörungsmythen durch Appelle an das Gemeinwohl erreicht wird, insbesondere, wenn diese von den Institutionen formuliert werden, denen sie nicht trauen. Dies gilt besonders für Personen mit einem geschlossenen Weltbild, die so „immun gegen „Kritik und Zweifel“ an Corona-Verschwörungsmythen sind, wie Melanie Hermann in einem Blogbeitrag hier dargelegt hat.

Das wirft die Frage auf, inwiefern man auf jene, die sich selbst gesellschaftlicher Kooperation in ihrer Wertehaltung und ihrem Handeln entziehen, positiv eingehen sollte, während sie sich der Gemeinschaft verweigern. Überzeugungsarbeit in dieser Gruppe wird kaum durch klassische Maßnahmen und Kampagnen, die „softe“ Skeptiker:innen eventuell noch erreichen, funktionieren. Wenn aber keine neuen Zugänge gefunden werden, muss ein konsequentes Handeln die Belange der Mehrheit, die bereit ist gemeinschaftlich zu agieren, stark in den Vordergrund stellen.